19.
Derselbe Apostel fährt fort: „Woher kommen die Kriege, woher die Streitigkeiten unter euch? Gehen sie nicht aus den Begierden hervor, die in euren Gliedern kämpfen?“1 Entweder habt ihr keine menschlichen Glieder, oder wenn ein Mensch nicht ohne Glieder sein kann, dann gebet zu, daß Begierden und böse Lust in euren Gliedern streiten! — David sprach vertrauensvoll: „Erforsche mich, o Herr, und prüfe mich; läutere meine Nieren und mein Herz! Denn Deine Barmherzigkeit schwebt mir vor Augen, Freude habe ich gefunden an Deiner Wahrhaftigkeit“2, und ein anderes Mal: „Ich wandelte in meiner Unschuld, und mein Fuß stand auf dem rechten Wege“3. Seinem der Wahrheit gemäß gefällten Urteil nahm er zwar das Unbescheidene durch den Hinweis auf Gottes Barmherzigkeit. Trotzdem aber wurde er, weil er gewagt hatte, in dieser Weise zu sprechen, für eine kurze Zeit seiner Gebrechlichkeit und, um mit euren Worten zu reden, seiner Wahlfreiheit überlassen. Er verfiel auf einen Ehebruch und sank zum Mörder herab, so daß er zuletzt sprach: „Erbarme Dich meiner, o Gott, nach Deiner großen Barmherzigkeit! Nach der Menge Deiner Erbarmungen tilge meine Missetat!“4 Dies sage ich nicht, weil ich etwa einen heiligen Mann anklagen möchte, von dem geschrieben steht, daß er jeden Willen Gottes erfüllt hat. Vielmehr hat er durch zahlreiche andere guten Werke diese Fehler wieder gesühnt und Heil erlangt durch die Barmherzigkeit Gottes, der das Recht zum Gewichtssteine macht5, an den Asaph sich wendet S. 439 mit den Worten: „Du wirst uns speisen mit dem Brote der Zähren, und Du wirst uns tränken mit Tränen in vollem Maße“6. Denn der Herr ist keineswegs ungerecht, so daß er nur die Sünden verurteilt, ohne der guten Werke zu gedenken. Darum singt derselbe David anderwärts: „Ich aber sprach in meinem Glücke, ich werde nicht wanken in Ewigkeit. O Herr, in Deiner Huld verliehest Du meiner Schönheit Macht. Du wandtest Dein Antlitz von mir ab, und ich wurde betrübt7. Ich sprach: Bekennen will ich mein Unrecht, das wider mich zeugt, dem Herrn, und Du ließest mir den Frevel meiner Sünde nach“8. Dem Gerechten gilt das Gebot: „Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn! Er wird es gut machen. Er wird dein Recht leuchtend machen wie ein Licht und deine Sache glänzen lassen wie den Mittag. Das Heil der Gerechten kommt nämlich vom Herrn“9, denn nichts Gesundes ist an ihrem Körper wegen seines Zornes10. Täglich seufzen sie gemäß dem Worte des Apostels: „In meinem Fleische wohnt nichts Gutes“11, und sie bekennen: „Mein Inneres ist voll von eitlen Vorstellungen, und nichts Gesundes ist an meinem Fleische. Denn kurz hat er unsere Tage gestaltet und unser Dasein ist vor ihm gleich wie ein Nichts“12. Alles ist Nichtigkeit, auch jeder Mensch, der lebt13, mag er nun leben dem Fleische nach, mag er leben in der Tugend, immerhin ist alles Nichtigkeit. Unsicheren Schrittes schwankt der Mensch einher, und während er furchtlos dahinlebt, muß er bei heiterem Himmel den Sturm über sich hereinbrechen lassen. „Während er in Ehren stand, hatte er kein Einsehen. Er glich unvernünftigen Tieren und wurde ihnen ähnlich“14. „Umsonst“, heißt es, „wird er sie selig machen“15, die Gerechten nämlich, die nicht infolge eigenen Verdienstes, sondern durch Gottes Milde Rettung erlangen. — „Meine Sünden sind vor Dir nicht S. 440 verborgen“16. Dies ist aus der Person Christi herausgesprochen. Wenn er, der keine Sünde getan hat, in dessen Munde kein Falsch gefunden worden ist17, für uns gelitten und unsere Sünden getragen hat, um wieviel mehr müssen wir unsere Fehler bekennen? — „Meine Seele“, so lesen wir, „will sich nicht trösten lassen“18 in Erwägung der Sünde, die ich getan habe. „Ich gedachte Gottes und empfand Freude“19, als ich mich daran erinnerte, daß ich durch seine Güte zu retten sei. „Des Nachts überlegte ich in meinem Herzen und forschte nach in meinem Geiste. Dann sprach ich: Jetzt beginne ich; diese Wendung rührt her von der Hand des Allerhöchsten“20. Dies ist die Sprache des Gerechten, der nach der nächtlichen Betrachtung und den Gewissensqualen zuletzt anhebt: „Jetzt fange ich an, entweder Buße zu tun oder die Schwelle der Erkenntnis zu überschreiten, und diese Wendung vom Guten zum Besseren ist nicht das Werk meiner Kräfte, sondern der Hand Gottes und der Macht seiner Gnade“.
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Jak. 4, 1. ↩
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Ps. 25, 2 f. [Hebr. Ps. 26, 2 f.]. ↩
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Ps. 25, 11 f. [Hebr. Ps. 26, 11 f.]. ↩
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Ps. 50, 3 [Hebr. Ps. 51, 3]. ↩
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Is. 28, 17. ↩
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Ps. 79, 6 [Hebr. Ps. 80, 6]. ↩
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Ps. 29, 7 f. [Ps. 30, 7 f.]. ↩
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Ps. 31, 5 [Hebr. Ps. 32, 5]. ↩
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Ps. 36, 5 f. 39 [Hebr. Ps. 37, 5 f. 39]. ↩
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Ps. 37, 4 [Ps. 38, 4]. ↩
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Röm. 7, 18. ↩
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Ps. 37, 8; 38, 6 [Hebr. Ps. 38, 8; 39, 6]. ↩
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Ps. 38, 6 [Hebr. Ps. 39, 6]. ↩
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Ps. 48, 13. 21 [Hebr. Ps. 49, 13. 21]. ↩
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Ps. 55, 8 [Hebr. Ps. 56, 8]. ↩
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Ps. 68, 6 [Hebr. Ps. 69, 6]. ↩
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1 Petr. 2, 22. ↩
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Ps. 76, 3 [Hebr. Ps. 77, 3]. ↩
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Ps. 76, 4 [Hebr. Ps. 77, 4]. ↩
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Ps. 76, 7. 11 [Hebr. Ps. 77, 7. 11]. ↩