45. Lehre und Beispiel Christi.
S. 183 Es erübrigt uns noch, dem Einwurf zu begegnen, als wäre es für Gott unschicklich und mit dem Wesen Gottes nicht vereinbar, sich mit einem sterblichen Leibe zu umkleiden, sich Menschen unterzuordnen, Schimpf und Schmach auf sich zu nehmen, Martern und Tod zu erdulden. Über die Sache will ich meine Gedanken darlegen und einen unermeßlichen Stoff in wenige Worte zusammenfassen. Wer etwas lehrt, der muß wohl auch tun, was er lehrt, um die Menschen zum Gehorsam zu bewegen; wenn er es nicht tut, so benimmt er seinen Vorschriften den Glauben. Es bedarf also der Beispiele, um den Vorschriften Nachdruck zu geben; und wenn einer dann widerspenstig sein will und die Ausführung der Gebote für unmöglich erklärt, so muß ihn der Lehrer sofort durch Werke widerlegen. Eine Lehre kann nicht vollkommen sein, wenn sie bloß in Worten besteht; sie ist erst dann vollkommen, wenn sie in Werken erfüllt wird.
Da Christus als Lehrer der Tugend zu den Menschen gesandt war, so mußte er mit dem Worte auch das Werk verbinden, wenn seine Lehre vollkommen sein sollte. Ohne die Annahme des menschlichen Leibes hätte er das nicht vollbringen können, was er lehrte, so z. B., daß man nicht zürnen, daß man nicht nach Reichtum verlangen, nicht von Begierlichkeit sich fortreißen lassen dürfe, daß man den Schmerz nicht fürchten und den Tod verachten müsse. Das sind sicherlich Werke der Tugend, aber ohne Leiblichkeit kann man sie nicht vollbringen. Darum hat also Christus Fleisch angenommen, um seine Lehre von der notwendigen Überwindung der Begierlichkeit des Fleisches zuerst selbst zu erfüllen, damit niemand zu seiner Entschuldigung die Gebrechlichkeit des Fleisches vorschützen könnte.