Zweiter Artikel. Die Liebe ist Ursache des Hasses.
a) Dagegen sind: I. Unterabteilungen in der nämlichen Art immer zugleich. Haß und Liebe aber sind als gegenüberstehende Unterabteilungen in den Leidenschaften. Also sind sie zugleich; und ist nicht das eine vom anderen verursacht. II. Der eine Gegensatz ist nicht die Ursache vom anderen. Haß und Liebe aber sind rein Gegensätze. III. Der Haß ist früher wie die Liebe; denn er ist ein Sich-Entfernen vom Übel. Auf der anderen Seite sagt Augustin (14 de civ. Dei 7 et 9.): „Alle Neigungen haben ihre Ursache in der Liebe.
b) Ich antworte, die Liebe sei eine Verwandtschaft zwischen dem Liebenden und dem Geliebten; der Haß aber ein Widerstreben gegen das Gehaßte. In jedem Dinge aber ist als das frühere Moment zu betrachten das, was ihm zukömmlich ist und nicht das was ihm widerstrebt. Denn nur ebendadurch ist etwas dem betreffenden Dinge widerstrebend, daß es das verdirbt, was ihm zukömmlich ist. Also muß notwendig die Liebe früher sein als der Haß; und nichts kann somit gehaßt werden als insoweit es entgegensteht dem, was dem Dinge zukömmt und demgemäß von diesem geliebt wird. Danach entsteht jeder Haß aus Liebe.
c) I. In den sich gegenüberstehenden Unterabteilungen einer Gattung oder einer „Art“ giebt es solche, die sowohl der Auffassung wie der Wirklichkeit nach kraft ihrer Natur zugleich sind; wie die zwei Gattungen des „Sinnbegabten“: vernünftig und unvernünftig, oder zwei Gattungen in den Farben. Andere Gattungen giebt es, die wohl zugleich sind gemäß der Auffassung; jedoch der Wirklichkeit nach ist da die eine früher wie die andere, ist nämlich die eine verursacht von der anderen; — wie dies offenbar ist in den Gattungen der Zahlen, von denen ja die eine in Wirklichkeit aus der anderen her entsteht, die jedoch in ihrem Gegensatze, z. B. in Einheit und Mehrheit, zugleich aufgefaßt werden; und wie dies ebenso sich verhält mit den Figuren, Bewegungen etc. Endlich giebt es solche gegensätzliche Unterabteilungen in der nämlichen„Art“, welche weder der Auffassung noch der Wirklichkeit nach zugleich sind, wie z. B. Substanz und Accidens. Denn die Substanz ist dem thatsächlichen Sein, also der Wirklichkeit nach, die Ursache, welche das Accidens, also die zu ihm hinzutretende Eigenschaft als dessen Subjekt trägt, wie die Mauer die wirkliche Ursache ist, daß das betreffende Weiße in Wirklichkeit Sein hat; — und desgleichen wird auch gemäß der Auffassung früher von der Substanz ausgesagt, sie sei; und erst später d. h. auf Grund dieser Auffassung daß die Substanz Sein hat, wird vom Accidens, von der hinzutretenden Eigenschaft, ausgesagt, sie sei; denn nur insoweit das Accidens in der Substanz ist, wird ihm ein Sein zugeschrieben. Die Liebe und der Haß nun sind wohl zugleich der Auffassung nach, aber nicht gemäß der Wirklichkeit. Denn der Haß kann nur sein infolge irgend einer Liebe. II. Haß und Liebe sind reine Gegensätze, nur insofern sie vom Nämlichen gelten. Ist der Gegenstand des Hasses aber gegenüberstehend dem der Liebe, so folgt der Haß der Liebe und umgekehrt. Denn wird etwas geliebt, so ist es im Begriffe selbst gegeben, daß das Gegenteil gehaßt wird. III. In der Ausführung einer Absicht ist es wohl früher, daß man vom Gegenteile sich entfernt. In der Absicht selber ist dies nicht der Fall. Denn ebendeshalb entfernt man sich von dem einen Endpunkte, damit man dem anderen entgegengesetzten näher komme. Die Bewegung des Begehrens aber gehört mehr in den Bereich der Absicht wie in den der Ausführung. Also ist da gerade die Liebe früher wie der Haß.