Dritter Artikel. Es giebt keine von der Natur selber kommende Furcht.
a) Dagegen sagt: I. Damascenus (3. de orth. fide 23.): „Eine gewisse Furcht ist mit der Natur gegeben, weil die Seele nicht getrennt werden will vom Körper.“ II. Die Furcht kommt von der Liebe. Es giebt aber nach Dionysius (4. de div. nom.) eine von der Natur selber herrührende Liebe; also giebt es auch eine solche Furcht. III. Die Furcht steht im Gegensatze zur Hoffnung. Nach Röm. 4. wird aber von Abraham gesagt, er habe „gegen die Hoffnung“ der Natur „an die Hoffnung“ der Gnade „geglaubt.“ Also giebt es auch eine natürliche Furcht. Auf der anderen Seite findet sich was der Natur entspricht gemeinsam in den lebenden und den leblosen Wesen; die Furcht aber findet sich nicht in den leblosen Wesen.
b) Ich antworte; es werde eine Bewegung als natürlich bezeichnet, weil die Natur dazu hinneigt. Das geschieht aber: einmal so, daß Alles von der bloßen Natur vollzogen wird ohne irgend welche auffassende Thätigkeit; wie das Feuer ohne weiteres nach oben geht; — dann so, daß die Natur zur Bewegung wohl hinneigt, jedoch der Abschluß gemacht wird von seiten der Auffassung; weil, wie Kap. 10, Art. 1 und 17, 9 ad II. gesagt worden, die Bewegungen des auffassenden und begehrenden Vermögens auf die Natur als auf das erste Princip im betreffenden Dinge selbst zurückgehen. Nach dieser Weise werden auch bisweilen die Thätigkeiten der auffassenden Kraft selber, wie Einsehen, Empfinden, Sich-Erinnern und ebenso die Thätigkeiten des sinnlichen Begehrens als natürliche bezeichnet. Und danach kann auch von einer mit der Natur gegebenen Furcht gesprochen werden; und ist dann der Unterschied zwischen ihr und der nicht mit der Natur gegebenen Furcht gemäß der Verschiedenheit des Gegenstandes. Denn die Furcht hat zum Gegenstande ein Übel, welches schädigt und verdirbt. Und dies flieht eben die Natur auf Grund des natürlichen Verlangens nach Sein; weshalb eine solche Furcht „natürlich“ genannt wird. Dann ist der Gegenstand der Furcht ein Übel, das betrübt, welches zwar nicht der Natur widerstreitet, jedoch dem Verlangen des Begehrens; und solche Furcht ist nicht „natürlich“; wie ja auch oben ein Unterschied gemacht worden ist zwischen natürlicher und nicht natürlicher Liebe, Sehnsucht, Ergötzung. (Kap. 30, Art. 3.; 31, 7.) Gemäß der erstgenannten Bedeutung des „natürlich“ nun muß man berücksichtigen, daß manche Leidenschaften, wie Liebe, Sehnsucht, Hoffnung als „natürliche“, d. h. ganz von der Natur ausgehende, bezeichnet werden; andere aber können dies nicht. Denn Liebe, Haß, Sehnsucht, Flucht schließen ein in sich ein gewisses Verfolgen des Guten und Zurückschrecken vom Schlechten; und die Hinneigung dazu gehört dem natürlichen Begehren an, welches auch in den leblosen Dingen sich findet; — und so besteht eine natürliche Liebe, Sehnsucht u. s. w. Bei anderen Leidenschaften aber genügt nicht diese rein natürliche Hinneigung, damit sie ihre Bewegungen hervorbringen; denn zu deren Natur gehört der Sinn oder die Kenntnis; die Auffassungist erfordert zum Ergötzen und zum Schmerze. Wesen also, die der Kenntnis ermangeln, können nicht sich ergötzen oder Schmerz empfinden; — und noch dazu sind dergleichen Bewegungen nicht selten gegen die natürliche Hinneigung, z. B. daß die Verzweiflung das Gute flieht, weil es zu schwer; und daß die Furcht davor flieht, das drohende Übel zu bekämpfen, welches gegen die natürliche Hinneigung ist. Dergleichen Leidenschaften also sind nicht in den leblosen Dingen. Damit ist die Antwort gegeben auf die Einwürfe.