Erster Artikel. In Gott bestehen maßgebende Vorbilder des Geschöpflichen oder Ideen.
a) Dies scheint gegen die Autorität des heiligen Dionysius und gegen die Natur der Idee zu sein. Denn: I. Dionysius sagt (de div. nom. c. 7.): „Gott erkennt nicht die Dinge gemäß einer Idee.“ Ideen aber werden nicht angenommen außer behufs der Erkenntnis. Also sind in Gott keine Ideen. II. Gott erkennt alles in Sich selbst und kraft seines Wesens. Also bedarf Er keiner Idee. III. Die Idee wird angenommen als das leitende Princip des Erkennens und der Thätigkeit. Dazu aber ist in Gott völlig ausreichend sein eigenes Wesen. Auf der anderen Seite sagt Augustin (lib. 83. Quaest. qu. 46.): „Eine solche Kraft liegt in den Ideen, daß, wer sie nicht verstanden hat, weise nicht genannt werden kann.“
b) Ich antworte, daß es durchaus notwendig ist, in Gott Ideen anzunehmen. Denn was ἰδέα im Griechischen heißt, das wird im Lateinischen „Form“ genannt. Unter „Ideen“ werden also Formen einzelner Dinge verstanden, welche außerhalb des subjektiven Bestandes dieser Dinge existieren. Eine solche Form, die da außerhalb des Dinges existiert, dient zu einem doppelten Zwecke: Einmal ist sie das Modell oder Exemplar des Dinges, dessen Form sie vorstellt; dann ist sie für die Kenntnis dieses selben Dinges das maßgebende Princip, welchem gemäß ausgesagt wird, daß die Formen der erkennbaren Dinge innerhalb des Erkennenden sind. Und nach beiden Seiten ist es notwendig, in Gott Ideen anzunehmen. In allen Dingen, welche nicht dem Zufalle ihr Dasein verdanken, ist es nämlich erforderlich, daß die Existenz der betreffenden Form den Zweck und das Ende der Erzeugung eines jeden bilde. Der einwirkende Grund nun würde nicht behufs der Erzeugung eine Form wirken, wenn und soweit derselbe nicht eine Ähnlichkeit der Form in sich besäße. Das aber findet sich in zweifacher Weise vor: Einmal so, daß in manchen wirkenden Ursachen die Form des zu erzeugenden Dinges gemäß dem natürlichen subjektiven Sein vorherbesteht, wie in allen jenen, welche vermittelst ihrer Natur einwirken; der Mensch erzeugt z. B. den Menschen und das Feuer Feuer. In anderen aber ist diese Form, gemäß deren er thätig ist, im Einwirkenden gemäß nur dem erkennbaren Sein; wie z. B. die Ähnlichkeit des Hauses vorherbesteht im Erkennen des Erbauers; und diese Ähnlichkeit kann als Idee des Hauses bezeichnet werden, weil der Künstler den Bau ihr ähnlich gestalten will. Die Welt aber dankt nicht dem Zufalle ihre Entstehung, sondern geht von Gott als von einer vernünftigen Ursache aus. Also muß in der göttlichen Vernunft die Form sich finden, deren Ähnlichkeit gemäß die Welt gemacht worden. Und darin besteht die Natur der Idee. I. Gott erkennt die Dinge nicht vermittelst einer Idee, die Ihm von außen her zukäme. Und deshalb mißbilligt Aristoteles die Meinung Platos (III. Metaph.) von den Ideen, als ob dieselben rein für sich beständen und nicht innerhalb einer Vernunft. II. Gott erkennt kraft seines Wesens Sich und Anderes. Aber dies ist nicht das Princip des Thätigseins rücksichtlich Seiner selbst; sondern nur rücksichtlich des Anderen. Und so hat sein Wesen den Charakter einer Idee nicht im Verhältnisse zu sich selbst, sondern zum anderen. III. Gott ist nach seinem Wesen die Ähnlichkeit aller anderen Dinge. Und deshalb ist die Idee in Gott nichts anderes wie sein Wesen.
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