Dritter Artikel. Der lasterhafte Akt ist schlimmer wie das Laster als Zustand.
a) Das Gegenteil scheint wahr. Denn: I. Das Gute, was länger dauert, ist besser; also ist auch das Übel, was länger dauert, schlimmer. Der lasterhafte Zustand aber dauert länger wie der vorübereilende lasterhafte Akt. Also ist der erstere schlimmer. II. Mehrere Übel sind weit eher zu fliehen wie ein einziges. Der lasterhafte Zustand aber ist die Ursache vieler schlechter Akte. Also ist er schlimmer. III. Die Ursache gilt mehr wie die Wirkung. Das Laster, also der Zustand des Schlechten, aber ist die Ursache lasterhafter Thätigkeiten. Auf der anderen Seite wird jemand gerechterweise bestraft für einen lasterhaften Akt; nicht aber für einen lasterhaften Zustand, der nicht thätig ist. Also ist der lasterhafte Akt schlimmer wie das Laster.
b) Ich antworte, ein Zustand stehe als solcher immer in der Mitte zwischen Vermögen und Thätigkeit. Offenbar aber steht im Guten und im Bösen das Thätigsein höher wie das Können dafür, wie das Vermögen, (9 Metaph.) Denn besser ist es, gut zu wirken als das Vermögen haben, gut zu wirken; und schlimmer ist es. Schlechtes zu thun als es können thun. So ist also, sei es im Bösen oder im Guten, der Zustand besser oder schlechter wie das entsprechende Vermögen; und die diesbezügliche Thätigkeit ist besser oder schlimmer wieder wie der Zustand. Das erscheint auch daraus, daß ein Zustand gut oder schlecht genannt wird, je nachdem er zur guten oder schlechten Thätigkeit hinneigt. Und so ist der Akt oder die Thätigkeit, sei es die gute sei es die böse, immer besser oder schlechter wie der entsprechende Zustand; denn „das, weshalb etwas ist, das ist immer hauptsächlicher wie dieses selbst, was ist.“
c) I. Es kann etwas schlechthin hauptsächlicher sein wie das andere, was jedoch nach einer gewissen Seite hin niedriger steht. Denn schlechthin wird etwas danach beurteilt, was seiner Natur gemäß ist und somit an und für sich als Gegenstand des Urteils dasteht; nach einer gewissen Seite hin aber kann das Eine hervorragender sein wie das Andere gemäß einer zur Natur oder zum Wesen hinzutretenden Zuthat. Nach der Natur oder dem Wesen von Zustand und Thätigkeit nun ist, wie gezeigt, letztere hauptsächlicher im Bösen wie im Guten. Daß aber der Zustand länger andauert, das kommt von einer Zuthat, die zur betreffenden Natur in ihrer bestimmten Lage hinzutritt, wonach diese Natur nämlich nicht immer thätig ist, daß vielmehr diese ihre Thätigkeit vorübereilt. Nach dieser Seite hin also ist die Thätigkeit im Guten wie im Bösen etwas Minderes wie der Zustand. II. Nur dem Vermögen nach bedeutet der Zustand mehrere Akte; nicht schlechthin. Also danach ist er nicht hauptsächlicher wie der Akt. III. Der Zustand ist die Ursache des Aktes als wirkende Ursache; der Akt aber ist die Ursache des Zustandes als Zweckursache. Der letzteren gemäß nun wird der Charakter des Guten und Bösen beurteilt.
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