Zweiter Artikel. Die geistigen Sünden sind zulässigerweise von den fleischlichen unterschieden worden.
a) Es ist eine solche Unterscheidung unzulässig. Denn: I. Galat. 5. heißt es: „Offenbar sind die Werke des Fleisches: Unkeuschheit, Unreinheit, Schamlosigkeit, Wollust, Götzendienst, Giftmischerei etc.“ Also scheinen alle Arten von Sünden fleischliche zu sein. II. Wer sündigt, wandelt gemäß dem Fleische, nach Röm. 8. Nach dem Fleische leben oder wandeln aber scheint den Charakter von fleischlichen Sünden zu haben. Also sind alle Sünden fleischliche. III. Der höhere Teil der Seele, die Vernunft, wird „Geist“ genannt, nach Ephes. 4.: „Erneuert euch im Geiste euerer Vernunft.“ Jede Sünde aber, auch die nach dem Fleische begangene, leitet sich ab von der Vernunft, weil es der höheren Vernunft, die da Göttliches betrachtet, zugehört, der Sünde zuzustimmen. Also alle Sünden sind geistige und fleischliche; da besteht kein ausreichender Unterscheidungsgrund. IV. Beständen einige fleischliche Sünden, so wären dies in erster Linie jene, durch die der Mensch gegen seinen eigenen Körper sündigt, indem er ihn mißbraucht. 1. Kor. 6. aber heißt es: „Welche Sünde auch immer der Mensch begeht, sie ist außerhalb des Körpers; wer aber unkeusch ist, der sündigt gegen seinen eigenen Körper.“ Also nur die Unkeuschheit scheint fleischliche Sünde zu sein, während der Apostel Galat. 5. auch den Geiz z. B. den fleischlichen Sünden beizählt. Auf der anderen Seite heißt es bei Gregor (3. moraI. 17.): „Von den sieben Hauptsünden sind fünf geistige Sünden und zwei fleischliche.
b) Ich antworte, die Sünden erhalten ihren Gattungsunterschied von den Gegenständen her. Jede Sünde aber besteht darin, daß man ungeregelterweise ein veränderliches Gut begehrt und dann, wenn man es besitzt, in selbem sich ergötzt. Nun giebt es nach Kap. 31, Art. 3: 1. eine der Sinnesthätigkeit angemessene Ergötzung, welche im bloßen Erfassen eines Gegenstandes besteht, den man gemäß seinem Wunsche besitzt; und diese kann man auch eine geistige Ergötzung nennen; wie z. B. die am menschlichen Lobe u. dgl. Eine andere Ergötzung ist 2. die körperliche oder rein natürliche, welche im körperlichen Berühren vollendet wird; und diese kann danach auch „fleischliche“ genannt werden. Jene Sünden also, welche sich vollziehen im geistigen (sinnlichen) Ergötzen, werden als geistige; jene aber, die sich im körperlichen Berühren und dem entsprechenden Ergötzen vollenden, als fleischliche bezeichnet; wie die Gaumenlust, die im Ergötzen an Speise und Trank besteht, und die Wollust, das Ergötzen am Geschlechtlichen. Deshalb sagt Paulus (2. Kor. 7.): „Reinigen wir uns von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes.“
c) I. Jene Werke des Fleisches in Galat. werden nach Augustin (14. de civ. Dei 2. et 3.) so genannt; nicht gerade weil sie im Vergnügen des Fleisches sich vollenden, sondern weil hier „Fleisch“ für „Mensch“ genommen wird; insoweit nämlich ein Mensch, der nach seiner Begierde lebt, bezeichnet wird als nach dem Fleische lebend. Und davon ist der Grund, daß aller Mangel, welcher die menschliche Vernunft begleitet, gewissermaßen vom fleischlichen Sinne her seinen Ursprung hat. II. Ist damit beantwortet. III. Auch in den fleischlichen Sünden ist immer irgend eine geistig-vernünftige Thätigkeit; nämlich die der Vernunft. Nur der Zweck der Sünden des Fleisches, wonach sie benannt werden, ist das Ergötzen des Fleisches. IV. „Besonders in der Sünde der Unkeuschheit dient die Seele dem Körper, so daß der Mensch im selben Augenblicke sogar nichts Anderes zu denken vermag;“ sagt die Glosse zur genannten Stelle, l. Kor. 6. Das Ergötzen der Gaumenlust aber unterdrückt nicht im selben Maße die Vernunft. Oder man kann sagen, in der unkeuschen Sünde wird selbst dem Körper unrecht gethan, insofern derselbe ungeregelterweise befleckt wird. Der Geiz aber, soweit er den fleischlichen Sünden beigezählt wird, steht für den Ehebruch, der da ist die ungerechte Besitznahme der Frau eines anderen. Oder man kann sagen, das Geld als Gegenstand des Geizes sei etwas Körperliches und werde insoweit den fleischlichen Sünden zugezählt. Das Ergötzen selbst aber am Geize gehört nicht zum Fleische, sondern zum (sinnlichen) Geiste; weshalb Gregor (I. c.) den Geiz zu den geistigen Sünden zählt.