Erster Artikel. Die Sünde hat eine Ursache.
a) Sie scheint vielmehr gar keine Ursache zu haben. Denn: I. Die Sünde ist ein Übel. Das Übel aber hat nach 4. de div. nom. keine Ursache. II. Der hinreichenden Ursache folgt mit Notwendigkeit die Wirkung. Wo aber etwas mit Notwendigkeit folgt, da ist von keiner Sünde mehr die Rede. III. Entweder ist das Gute Ursache der Sünde oder etwas Böses. Das Gute nicht; denn „ein guter Baum kann schlechte Früchte nicht hervorbringen“ nach Matth. 7. Ähnlich auch nicht etwas Schlechtes. Denn das Schlechte, was in der Strafe besteht, folgt der Sünde; und das Schlechte, was in der Schuld, besteht, ist die Sünde selber. Also hat die Sünde keine Ursache. Auf der anderen Seite hat Alles, was geschieht, eine Ursache, nach Job 5.: „Nichts auf Erden geschieht ohne Ursache.“ Die Sünde aber geschieht; denn sie ist „etwas Begehrtes oder Gesprochenes oder Gethanes gegen das Gesetz Gottes.“ Also hat sie eine Ursache.
b) Ich antworte, die Sünde sei eine ungeregelte Thätigkeit. Soweit sie also Thätigkeit ist, hat sie an und für sich und direkt eine Ursache gerade wie jede andere Thätigkeit. Soweit sie ungeregelt ist, hat sie eine Ursache, wie die Verneinung oder der Mangel eine Ursache haben kann. Von einer Verneinung aber kann eine doppelte Ursache angezeigt werden: 1. nämlich der Mangel an einer Ursache für die Bejahung, d. h. die Leugnung selber einer Ursache; und das ist die Ursache der Verneinung an und für sich und direkt. Denn wenn die Ursache wegfällt, fällt auch die Wirkung fort, wie die Entfernung der Sonne die Ursache ist für die Finsternis. Es ist 2. die Ursache der Bejahung, auf welche die Verneinung folgt von außen her, nicht an und für sich oder wesentlich, die Ursache der entsprechenden Verneinung; wie das Feuer z. B., weil es Wärme erzeugt, dadurch selbst erzeugt den Mangel oder die Verneinung der Kälte. Die erstgenannte Ursächlichkeit nun kann genügen für eine Verneinung schlechthin. Die Regellosigkeit der Sünde sowie jegliches Übel überhaupt ist aber keine Verneinung schlechthin; sondern ist der Mangel an dem, was besessen werden kann und besessen werden müßte. Also muß da eine Ursache vorhanden sein, die ohne direkte Absicht, nicht an und für sich, die da per accidens, gleichsam nämlich äußerlich, einwirkt. Denn was vorhanden sein kann und müßte, das ist nicht abwesend ohne eine im Wege stehende Ursache. Und danach sagt man, ein Übel, was in einer gewissen Unordnung besteht, habe eine mit Mangel behaftete Ursache oder eine Ursache, welche ohne Absicht einwirkt. Eine jede solche Ursache aber läßt sich zurückführen auf eine direkt und absichtlich einwirkende Ursache. Da nun die Sünde von seiten der Thätigkeit in ihr eine an und für sich absichtlich wirkende Ursache hat, von seiten der Regellosigkeit aber eine per accidens, mit Mangel behaftete und unabsichtlich wirkende, so folgt, daß die Regellosigkeit eine Folge ist der Ursache, welche die Thätigkeit hervorbringt. So also verursacht der Wille, insoweit er ermangelt der Leitung von seiten der Regel der Vernunft und des göttlichen Gesetzes und insoweit er dabei direkt beabsichtigt ein veränderliches Gut, die Thätigkeit oder den Akt in der Sünde direkt und an und für sich; das Regellose aber darin unabsichtlich, per accidens. Denn der Mangel an Ordnung in der Thätigkeit rührt her vom Mangel der leitenden Kraft in der Vernunft.
c) I. Die Sünde ist nicht rein Mangel an Gutem; sondern sie bezeichnet eine Thätigkeit, welche mit einem solchen Mangel behaftet ist. II. Jene Bestimmung betreffs der Urfache gilt von einer Ursache, der nichts im Wege steht. Denn es kann etwas die hinreichende Ursache eines Dinges sein; und doch folgt wegen eines hinzutretenden Hindernisses die Wirkung nicht mit Notwendigkeit, sonst würde ja Alles mit Notwendigkeit geschehen. So besteht also für die Sünde eine Ursache; aber deren Wirkung kann gehindert werden. Und so folgt letztere nicht mit Notwendigkeit. III. Der Wille ohne die geregelte Anwendung der Vernunft und der göttlichen Regel ist die Ursache der Sünde. Nicht anwenden aber eine solche Regel hat an sich noch nicht den Charakter des Bösen, weder der Strafe noch der Schuld; bevor nämlich die Regel wirklich auf die Thätigkeit angewandt wird. Also nicht etwas Schlechtes ist danach die Ursache der ersten Sünde; sondern etwas Gutes zusammen mit der Abwesenheit eines anderen Gutes.
