Zweiter Artikel. In einem einzigen Menschen sind nicht mehrere Erbsünden.
a) Dies scheint doch. Denn: I. Ps. 50. heißt: „In Missethaten bin ich empfangen und in Sünden hat mich empfangen meine Mutter.“ II. Ein und derselbe Zustand macht nicht, daß man zu Gegensätzen hinneigt; denn jeder Zustand neigt hin nach Weise der Natur, welche immer zu Einem hin bestimmt. Die Erbsünde aber neigt hin in ein und demselben Menschen zu verschieden, einander entgegengesetzten Sünden. Also bilden die Erbsünde mehrere Zustände. III. Die Erbsünde steckt alle Kräfte der Seele an. Die verschiedenen Kräfte der Seele aber sind verschiedene Sitze der Sünde. Da also ein und dieselbe Sünde nicht in verschiedenen Vermögen ihren Sitz oder ihr Subjekt haben kann, so folgt, daß die Erbsünde nicht eine ist, sondern mehrere. Auf der anderen Seite heißt es Joh. 1.: „Siehe das Lamm Gottes, das da hinwegnimmt die Sünde der Welt;“ nämlich „die Erbsünde,“ nach der Glosse.
b) Ich antworte, in ein und demselben Menschen sei nur eine Erbsünde. Davon ist der Grund: 1. Von seiten der Ursache der Erbsünde; denn nur die erste Sünde des ersten Stammvaters geht in die Nachkommen über. Also ist die Erbsünde eine einzige der Zahl nach in jedem Menschen; und in allen Menschen zusammen ist sie eine einzige dem Verhältnisse, der Proportion nach, nämlich mit Rücksicht auf das erste Princip. 2. Von seiten des Wesens der Erbsünde. Denn bei jeder ungeordneten Verfassung wird die Einheit der Gattung bemessen nach der Einheit der Ursache; und die Einheit gemäß der Zahl nach der Einheit des betreffenden Subjekts. So sind es auch verschiedene Krankheiten der Gattung nach, die aus verschiedenen Ursachen hervorgehen wie aus dem Überflusse vom Warmen oder Feuchten oder aus der Verletzung der Lunge oder der Leber; eine Krankheit aber, die eine ist gemäß der Gattung in einem Menschen ist auch nur eine gemäß der Zahl. Nun ist aber die Ursache für die Verderbtheit der Erbsünde nur eine, nämlich der Mangel der Urgerechtigkeit, durch den die Unterwerfung des vernünftigen Geistes Gott gegenüber hinweggenommen worden ist. Also ist die Erbsünde nur eine der Gattung nach und nur eine im nämlichen Subjekte der Zahl nach. In den verschiedenen Menschen aber bleibt die Einheit in der Gattung und im Verhältnisse zur Ursache; die Verschiedenheit besteht in der Zahl.
c) I. Die Schrift setzt oft die Mehrzahl für die Einzahl, wie Matth. 2,: „Gestorben sind, die da nachstellten dem Leben des Knaben.“ Ebenso kann gesagt werden, daß die sämtlichen persönlichen Sünden in der Erbsünde der Kraft und dem Vermögen nach enthalten sind, sie ist also vielfach der Kraft nach; oder daß in der einen Sünde Adams viele Häßlichkeiten sich fanden, wie der Stolz, der Ungehorsam, die Gaumenlust etc.; — oder daß viele Kräfte der Seele angesteckt sind. II. Nicht direkt wohl kann ein und derselbe Zustand kraft seiner Wesensform zu Entgegengesetztem hinneigen, wohl aber indirekt, indem er das Hindernis entfernt; wie die Elemente in einem zusammengesetzten Körper je nach den entgegengesetzten Richtungen sich bewegen, wenn das Hindernis dafür, die bestehende Harmonie, gelöst ist. So nun werden, nachdem die Harmonie der Urgerechtigkeit gelöst worden, die verschiedenen Kräfte der Seele zu entgegengesetzten Thätigkeiten hin getrieben. III. Die verschiedenen Seelenkräfte sind angesteckt, insoweit sie Teile eines Ganzen sind; wie ja auch die Urgerechtigkeit zusammenhielt alle Kräfte der Seele.So ist es auch das nämliche Fieber, welches die verschiedenen Teile des Körpers beschwert.
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