Sechster Artikel. Die Verschuldung von Strafe blecht noch nach der Sünde.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Wird die Ursache entfernt, so auch die Wirkung. Die Sünde aber ist die Ursache, daß Strafe verdient wird. Fällt also die Sünde fort, so auch, daß man Strafe verdient. II. Die Sünde wird dadurch entfernt, daß der Mensch zur Tugend, zurückkehrt. Dem Tugendhaften aber gebührt vielmehr Belohnung als Strafe. Also bleibt nach der Sünde keinerlei Notwendigkeit der Strafe. III. „Die Strafen sind Heilmittel,“ heißt es 2 Ethic. 3. Wenn aber jemand die Sünde bereits verlassen und somir heil geworden ist, bedarf es keiner Heilmittel. Auf der anderen Seite sagt (2. Kön. 12.) David zu Nathan: „Ich habe gesündigt vor dem Herrn. Und es sprach Nathan zu David: Der Herr hat Deine Sünden fortgenommen; Du wirft nicht sterben. Aber weil Du die Ursache gewesen, daß man gelästert hat den Namen des Herrn, wird der Sohn, der Dir geboren worden, des Todes sterben.“ Es wird also jemand von Gott bestraft, nachdem ihm die Sünde bereits nachgelassen ist; und so bleibt Schuld, welche Strafe verdient, auch nach der Sünde.
b) Ich antworte, bei der Sünde sei zu unterscheiden der Sündenakt und der ihm folgende Flecken. Nun ist es aber zuvörderst klar, daß, mag auch der Akt vorüber sein, doch die Schuld bleibt in allen persönlichen Sünden. Denn der Sündenakt macht den Menschen schuldig der Strafe, insoweit er die Ordnung der göttlichen Gerechtigkeit überschreitet, zudem er nicht zurück gehen kann außer vermittelst dem, daß die Strafe eine Wiedervergeltung übt, die zum Gleichmaße der Gerechtigkeit zurückleitet. Daher muß jener der seinem Willen mehr als sich gebührte nachgegeben hat gegen das Gebot Gottes, nun nach der Ordnung der göttlichen Gerechtigkeit etwas, sei es gezwungen oder freiwillig, leiden gegen das, was er nach seinem eigenen Willen wollen möchte. So geschieht es auch bei den Menschen, daß durch die Wiedervergeltung der Strafe jemand wieder hergestellt wird als Glied in der gleichmäßigen Ordnung der Gerechtigkeit. Mag also auch der Sündenakt oder die angethaene Beleidigung aufgehört haben, es bleibt noch Schuld, die Strafe verdient. Sprechen wir aber von der Entfernung der Makel oder des Fleckens, so kann offenbar dies nicht hinweggenommen werden, ohne daß die Seele mit Gott verbunden wird, da eben durch das Fernsein von Ihm ihr Glanz Schaden genommen hat und somit die Makel entstanden ist. Nun wird die Seele mit Gott verbunden durch den Willen. Also kann die Makel oder der Flecken der Sünde von der Seele nicht schwinden, wenn nicht der menschliche Wille die Ordnung der göttlichen Gerechtigkeit annimmt und so entweder freiwillig sich Strafe auferlegt, um damit für die begangene Schuld Wiedervergeltung zu leisten, oder sich der von Gott auferlegten Strafe geduldig unterwirft; denn auf beide Weisen kann er genugthun. Die so übernommene genugthuende Strafe jedoch ist etwas Minderes als die Strafe an und für sich ist. Denn dem Wesen der Strafe entspricht es, gegen den Willen zu sein. Die genugthuende Strafe aber ist wohl im allgemeinen betrachtet gegen den Willen, nicht aber im besonderen Falle; und danach ist sie freiwillig. Sie ist also schlechthin freiwillig; und nur nach einer gewissen Seite hin unfreiwillig, nämlich im allgemeinen betrachtet (vgl. Kap. 6, Art. 6). Nachdem also die Makel entfernt ist, bleibt keine Schuld mehr zurück, die da Strafe schlechthin verdiente; sondern nur Schuld, die genugthuende Strafe zur Folge hat,.
c) I. Mit dem Aufhören des Sündenaktes bleibt die Makel; und so kann auch bleiben die Schuld. Mit dem Aufhören der Makel bleibt nicht im selben Sinne Verschuldung, s. oben. II, Genugthuende Strafe kann dem Tugendhaften gebühren; keine Strafe schlechthin. Denn das gehört eben zur Tugend, daß er genugthue für die Beleidigungen Gottes oder des Nächsten, die er gethan. III. Mit Entfernung der Makel ist die Wunde der Sünde geheilt mit Rücksicht auf den Willen. Es wird jedoch noch Strafe erfordert für die Heilung der übrigen Kräfte, welche, durch die vorhergehende Sünde regellos geworden waren; damit sie nämlich geheilt werden durch das Gegenteil. Auf daß das Gleichmaß der Gerechtigkeit hergestellt und das Ärgernis der Anderen entfernt werde, müssen zudem jene erbaut werden durch die Übernahme der Strafe, welche vorher geärgert worden waren durch die Schuld; wie dies bei David geschah.
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