Erster Artikel. Die Einteilung der Sünde in Tod- und läßliche Sünde ist zulassig.
a) Sie scheint unzulässig zu sein. Denn: I. Augustin nennt die Sünde im allgemeinen: „Das Gesprochene oder Gethane oder Begehrte gegen das.ewige Gesetz.“ Gegen das ewige Gesetz sein aber ist ebensoviel als Todsünde sein. II. Der Apostel giebt das Gebot (1. Kor. 10.): „Sei es daß ihr esset oder trinket oder machet, was ihr wollt; thut Alles zur Ehre Gottes.“ Gegen dieses Gebot also fehlt jeder, welcher sündigt; denn keine Sünde geschieht zur Ehre Gottes. Jede Sünde also ist gegen das Gebot Gottes und somit eine schwere. III. Wer mit Liebe einer Sache zugethan ist, der hängt selbiger entweder an, indem er sie genießt, oder indem er sie gebraucht, nach Augustin I. de doctr. christ. c. 3 et 4. Keiner, der sündigt, aber hängt dem vergänglichen Gute an als es gebrauchend; denn er bezieht es nicht auf das Gute, was uns selig macht, was eigentlich den Begriff „gebrauchen“ ausmacht. Wer also sündigt, hängt dem veränderlichen Gute an als es genießend. Das aber „ist die menschliche Verkehrtheit, der Sachen genießen zu wollen, die man gebrauchen soll,“ sagt Augustin. (83 Qq. 30.) Da also die menschliche Verkehrtheit eben Todsünde ist, so ist jegliche Sünde Todsünde. IV. Wer dem einen Zielpunkte sich nähert, der entfernt sich vom anderen. Wer also dem vergänglichen Gute durch die Sünde sich nähert, der entfernt sich vom unveränderlichen; was nichts Anderes ist wie Todsünde. Auf der anderen Seite sagt Augustin (tract. in Joa. 41.): „Es giebt ein Verbrechen, das ewige Verdammnis verdient; läßlich aber ist, was nicht die ewige Verdammnis verdient.“ „Verbrechen“ aber will sagen „Todsünde“. Also giebt es eine Tod- und eine läßliche Sünde.
b) Ich antworte, manche Dinge seien nicht im Gegensatze zu einander, soweit sie im eigentlichen Sinne aufgefaßt werden; während sie im figürlichen Sinne aufgefaßt, einander entgegengesetzt sind. So z. B. ist „Lachen“ und „Ausgedorrtsein“ kein Gegensatz, wenn der eigentliche Sinn genommen wird. Wird aber figürlich von der Wiese gesagt, sie „lache“ wegen ihres Blühens und ihrer Kraft, so ist dies im Gegensatze zum „Ausgedorrtsein“. Ähnlich wenn das „Tödliche“ im eigentlichen Sinne betrachtet wird, soweit es nämlich auf den Körper sich richtet, so scheint es keinen Gegensatz einzuschließen zu „läßlich“ und nicht zur selben „Art“ zu gehören. Wird es aber figürlich gebraucht mit Rücksicht auf die Sünde; so ist es im Gegensatze zu „läßlich“. Denn „tödliche Sünde“ wird nach dem Beispiele der körperlichen Krankheit genannt die Krankheit der Seele, die an sich unheilbar ist, weil sie das Princip entfernt. Das Princip im Leben der Seele aber ist die Beziehung zum letzten Endzwecke. Besteht also da eine Regellosigkeit, so ist da etwas Unheilbares; während, wenn die Regellosigkeit nur auf das Zweckdienliche geht, durch die Betrachtung des Zweckes selber eine Heilung erzielt werden kann. So ist auch im Bereiche des Wissenschaftlichen der Irrtum, welcher die Principien betrifft, unheilbar; während der Irrtum, welcher die Schlußfolgerungen angeht, durch die Anwendung der Principien geheilt werden kann. Sünden also, welche eine Unordnung mit Rücksicht auf das Zweckdienliche in sich schließen, sind heilbar, weil die rechte Beziehung zum letzten Endzwecke gewahrt bleibt; und diese Sünden werden als läßliche bezeichnet. Denn dann hat die Sünde einen Nachlaß, wenn die Verschuldung der Strafe entfernt wird; welche Verschuldung aufhört beim Aufhören der Sünde. (Kap. 87, Art. 6.) Wie also „heilbar“ und „unheilbar“ stehen sich gegenüber Tod- und läßliche Sünde. Das freilich gilt mit Rücksicht auf das innere Princip der Sünde; nicht mit Rücksicht auf die göttliche Kraft, die alle Krankheit in Seele und Leib heilen kann.
c) I. Hier liegt keine strenge Einteilung einer „Art“ in ihre Gattungen vor; sondern eine gewisse Analogie ist maßgebend. Der vollendete Begriff der Sünde„ wie Augustin ihn hinstellt, kommt nur der Todsünde zu. Läßliche Sünde heißt ebensoviel als eine unvollkommene Sünde; wie im Bereiche des Seins die hinzutretende Eigenschaft etwas Unvollkommenes ist mit Rücksicht auf die für sich bestehende Substanz. Denn die läßliche Sünde thut nicht, was das Gesetz verbietet; und vernachlässigt nicht, was das Gesetz gebietet. Sie handelt außerhalb des Gesetzlichen, weil sie nicht ganz und gar die Richtschnur der Vernunft beachtet, welche vom Gesetze beabsichtigt wird. II. Jenes Gebot des Apostels ist affirmativ; und deshalb verpflichtet es nicht für jede Zeit. Deshalb handelt nicht gegen dieses Gesetz, wer thatsächlich nicht auf die Ehre Gottes bezieht was er im Augenblicke thut. Es genügt, daß jemand dem Zustande nach, also gewohnheitlich, sich und Alles, was ihm gehört, auf Gott bezieht; und nicht braucht er jeden Akt ausdrücklich zur Ehre Gottes zu machen. Die läßliche Sünde aber schließt nicht die zuständliche, gewohnheitliche Beziehung des menschlichen Aktes zu Gott aus, sondern nur die ausdrückliche, thatsächliche in jedem einzelnen Akte; denn sie schließt nicht die heilige Liebe aus, jenen Zustand, der zu Gott hinbezieht. Wer also läßlich sündigt, der begeht nicht damit zugleich eine Todsünde. III. Wer läßlich sündigerweise einem vergänglichen Gute anhängt, der thut dies nicht so, daß er dessen genießt, also darin den Endzweck sieht, sondern er will es nur gebrauchen; freilich bezieht er es auf Gott nicht ausdrücklich, durch thatsächlichen Akt, sondern nur dem Zustande nach. IV. Das vergängliche Gut ist nur insoweit dem unveränderlichen entgegengesetzt als darin der letzte Endzweck gesetzt wird. Denn was als zweckdienlich betrachtet wird, das hat nicht den Charakter des schließlichen Zielpunktes.
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