Zweiter Artikel. Die Tod- und läßliche Sünde sind der „Art“ nach verschieden.
a) Es scheint nicht, daß etwas Todsünde sei seiner ganzen „Art“ nach und etwas läßliche Sünde seiner ganzen „Art“ nach. Denn: I. „Gut“ und „böse“ in den menschlichen Handlungen wird betrachtet mit Rücksicht auf den Stoff oder den Gegenstand. Gegenüber jedem Gegenstande aber kann man eine Tod- oder eine läßliche Sünde begehen; denn jedes vergängliche Gut kann man lieben entweder weniger als Gott oder mehr als Gott, also läßlich oder tödlich. Also ist die läßliche Sünde keine andere wie die Todsünde der „Art“ nach betrachtet. II. „Unheilbar“, also Todsünde zu sein, kommt einer Sünde zu, insoweit sie aus Bosheit geschieht, was einige als das Unnachlaßbare bezeichnen. „Heilbar“ aber, also läßliche Sünde zu sein, kommt einer Sünde zu, die aus Unkenntnis oder Schwäche geschieht, was man als nachlaßbar bezeichnet. Also die Tod- und die läßliche Sünde unterscheiden sich wie eine aus Bosheit begangene Sünde von einer aus Schwäche oder Unkenntnis begangenen, was keinen Unterschied in der „Art“ ausmacht, sondern in der Ursache. III. Plötzlich aufsteigende Bewegungen der Sinnlichkeit oder der Vernunft sind läßliche Sünden. Dergleichen aber finden sich in jeder „Art“ von Sünde. Auf der anderen Seite zählt Augustin in der Predigt über das Fegfeuer einige „Arten“ läßliche Sünden auf und einige „Arten“ von Todsünden.
b) Ich antworte, läßlich werde eine Sünde genannt vom „Nachlassen“. Läßlich kann also eine Sünde sein, weil sie bereits Nachlaß erlangt hat (Ambrosius de paradiso 14.), wonach „jede Sünde durch Reue eine läßliche wird.“ Da kommt also das Läßliche vom Erfolge oder dem Ergebnisse. Ferner wird läßlich eine Sünde genannt, weil sie in sich hat, wonach sie entweder ganz oder teilweise Nachlaß erlangt; und zwar teilweise, weil sie etwas wie Schwäche oder Unkenntnis in sich hat, was die Schuld vermindert; was dann läßlich genannt wird von der Ursache her; — ganz aber, weil die läßliche Sünde nicht die geordnete Beziehung zum letzten Endzwecke entfernt, wonach sie in keiner Weise die ewige Strafe verdient, sondern nur eine zeitliche. Und danach sprechen wir hier von der läßlichen Sünde; denn rücksichtlich der beiden ersten Bezeichnungsweisen steht es fest, daß die läßlichen Sünden zu keiner bestimmten „Art“ gehören. Dieser letzten Auffassung gemäß kann nun die läßliche Sünde einer bestimmten Art zugehören, so daß etwas läßliche Sünde sei seiner „Art“ nach und etwas Todsünde seiner „Art“ nach; d. h. gemäß dem daß die „Art“ oder Gattung eines Aktes bestimmt wird vom Gegenstande aus. Denn wenn der Wille sich auf etwas richtet, was an sich der heiligen Liebe und somitt dem letzten Endzwecke widerstreitet, so hat die entsprechende Sünde es von ihrem Gegenstande aus, daß sie Todsünde ist und somit ist sie Todsünde der „Art“ nach; sei es daß sie direkt gegen die Liebe Gottes gerichtet ist, wie Lästerung, Meineid u. dgl. sei es daß sie gegen die Liebe des Nächsten sich kehrt wie Mord, Ehebruch. Bisweilen aber schließt das, worauf der sündige Wille sich richtet, nicht in sich einen Gegensatz zur Liebe Gottes oder des Nächsten ein, sondern nur eine gewisse Regellosigkeit; wie z. B. dies beim unnützen Worte, beim überflüssigen Lachen der Fall ist. Und diese Sünden sind ihrer „Art“ nach läßliche. Weil aber die moralischen Handlungen ihren Charakter des Guten oder Bösen erhalten nicht nur vom Gegenstande her, sondern auch von der Verfassung des Handelnden, wie Kap. 77, Art. 6 und Kap. 78, Art. 4 festgestellt worden, so kann das, was seiner „Art“ nach läßlich ist, Todsünde werden deshalb, weil der Handelnde seinen Endzweck darein setzt oder wenn er es zu etwas in lebendige Beziehung setzt, was der „Art“ nach Todsünde ist; wie wenn jemand ein unnützes Wort hinordnet auf die Begehung eines Ehebruchs. Und ebenso kann, was der „Art“ nach Todsünde ist, von seiten des Handelnden zu einer läßlichen werden, wenn die Handlung unvollendet, nämlich nicht in der Vernunft überlegt ist; wie z. B. die plötzlich erstehenden Bewegungen.
c) I. Daraus selber, daß jemand etwas erwählt, was an sich der heiligen Liebe widerstreitet, zieht er dies der göttlichen Liebe vor und liebt es mehr als er Gott liebt. Also haben es einige Sünden von sich aus ohne weiteres, daß sie Todsünden sind; und sie sind sonach der „Art“ nach Todsünden. II. Hier ist die Rede von der läßlichen Sünde auf Grund der Ursache. III. Hier ist die Rede von der läßlichen Sünde auf Grund des Unvollkommenen im Akte.