Sechster Artikel. Die Todsünde wird nie eine läßliche.
a) Gegengründe sind folgende: I. Aus der läßlichen Sünde kann, wie Art. 4 und 5 beschrieben worden, eine Todsünde werden. Also kann auch das Umgekehrte stattfinden. II. In der Todsünde liebt der Sünder die Kreatur in höherem Grade wie er Gott liebt; in der läßlichen liebt er die Kreatur weniger als er Gott liebt. Es kann jedoch jemand es nicht wissen, daß die einfache Unkeuschheit eine Todsünde sei und daß er eben wegen dieser Unkenntnis sie begeht, durchaus bereit, sie nicht zu begehen, falls sie der Liebe zu Gott durchaus entgegenstehe. Und so würde für ihn, was der „Art“ nach Todsünde ist, im besonderen Falle eine läßliche sein. III. Mehr ist das Gute vom Bösen unterschieden wie die Todsünde von der läßlichen. Ein an sich schlechter Akt aber kann ein guter werden; wie der Mord, wenn er aus Gerechtigkeit geschieht von seiten des Richters z. B., der den Räuber tötet. Also kann auch die Todsünde eine läßliche werden. Auf der anderen Seite kann Ewiges nie etwas Zeitliches werden. Die Todsünde aber verdient ewige Strafe, die läßliche nur zeitliche. Also wird die Todsünde nie zur läßlichen.
b) Ich antworte; das Unvollkommene kann wohl dadurch, daß etwas hinzugefügt wird, etwas Vollkommenes werden; und so kann, wenn zur läßlichen Sünde eine Mißgestaltung hinzutritt, die zur „Art“ der Todsünde gehört, eine Todsünde bestehen, wie wenn jemand ein müßiges Wort spricht, damit er Unkeuschheit treibe. Was aber in seiner Art vollendet ist, das kann durch kein Hinzufügen unvollkommen werden. Aus der Todsünde also wird durch kein Hinzufügen eine läßliche. Denn nicht wird vermindert die Sünde der Unkeuschheit in jenem, der ein müßiges Wort hinzufügt, sondern vielmehr erschwert. Dann allein kann, was an sich Todsünde ist, läßliche Sünde werden wenn dem betreffenden Akte die Vollendung fehlt, so daß er eigentlich kein moralischer Akt ist; wie bei der plötzlichen Regung in der Sinnlichkeit. Das geschieht aber vielmehr vermittelst eines Abziehens, nämlich der vernünftigen Überlegung, als vermittelst eines gewissen Hinzufügens.
c) I. Die Todsünde ist hier das Vollendete, der Mann z. B.; die läßliche ist das Unvollendete, wie das Kind. Es wird nun wohl aus dem Kinde ein Mann; nicht aber aus dem Manne ein Kind. II. Ist die Unkenntnis derartig, daß sie von der Sünde überhaupt entschuldigt, wie bei den Narren, so wird da gar nicht gesündigt, weder schwer noch läßlich. Ist sie zu überwinden, so ist diese Unkenntnis selber Sünde und enthält in sich den Mangel der göttlichen Liebe, insoweit der Mensch vernachlässigt, das zu lernen, wodurch er sich in der göttlichen Liebe erhalten kann. III. Augustin sagt (contra mendac. 7.): „Was an sich schlecht ist, kann durch keinen Zweck, auf den etwa es gerichtet wird, etwas Gutes werden.“ Der Mord aber ist die Tütung eines Unschuldigen; also kann er nie etwas Gutes werden. Der Richter, der den Räuber zum Tode verurteilt; und der Soldat, der den Feind tötet, sind keine Mörder.
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