Siebenter Artikel. Die zehn Gebote werden angemessenerweise gelehrt.
a) Das Gegenteil scheint wahr. Denn: I. Die affirmativen Gebote gehen auf die Tugendakte, die negativen ziehen ab von den Fehlern. In jeder Materie aber stehen sich gegenüber Tugend und Laster. Also in jeder Materie mußte ein affirmatives Gebot sein und ein negatives. II. Isidor (2 Etymol. 10.) sagt: „Jedes Gesetz gilt so viel wie sein Grund.“ Also mußte bei allen den zehn Geboten der betreffende Grund mitgeteilt werden. III. Belohnungen gebühren demjenigen, der ein Gebot beobachtet. Also durften nicht bloß beim ersten und vierten Belohnungen miterwähnt werden. IV. Das Alte Gesetz heißt „das Gesetz der Furcht;“ denn durch Androhen von Strafen leitete es an zur Beobachtung der Gebote. Alle zehn Gebote aber gehören zum Alten Gesetze. Also mußte zu jedem die gebührrende Strafe hinzugefügt werden. V. Alle Gebote Gottes sollen im Gedächtnisse behalten werden, nach 3.: „Schreibe sie auf die Tafeln deines Herzens.“ Also durfte nicht bloß beim dritten das Gedächtnis erwähnt werden. Auf der anderen Seite „hat Gott Alles gemacht in Maß, Zahl und Gewicht.“ (Sap. 11.) Also that Er dies zumal bei Verkündigung seines Gesetzes.
b) Ich antworte, in den göttlichen Geboten sei im höchsten Grade Weisheit enthalten, nach Deut. 4.: „Das ist euere Weisheit und euer Verständnis.“ Sache des Weisen aber ist es, Alles in gebührender Weise und in geregelter Ordnung zu vollenden. Also ist die Art und Weise, wie die zehn Gebote von Gott gelehrt werden, im höchsten Grade zukömmlich.
c) I. Der Bejahung folgt immer die Verneinung des Gegenteils; nicht aber umgekehrt Denn wenn ich sage: das ist weiß, so folgt: es ist nicht schwarz. Sage ich aber: das ist nicht schwarz, so folgt nicht, daß es weiß ist. Denn weiter erstreckt sich die Verneinung wie die Bejahung. Und daher kommt es, daß dieser Satz: man solle niemandem Unrecht thun, also eine Verneinung, sich auf mehrere Klassen von Personen erstreckt gemäß der ersten Aussage der Vernunft, wie dieser andere: man müsse andere achten oder ehren. Nun wohnt es der Menschennatur inne, da Schuldner zu sein, von wo man Wohlthaten empfangen hat. Da nun also zwei sind, von denen man derartige Wohlthaten empfangen hat, daß niemand sie ausreichend wieder vergelten kann, nämlich „Gott und der Vater“, nach 8 Ethic. ult.; so folgt, daß nur zwei affirmative Gebote aufgestellt sind, nämlich betreffend die Ehre der Eltern und die Feier des Sabbaths zum Angedenken an die ersten, unentgeltbaren göttlichen Wohlthaten. Diese beiden Gebote also bleiben immer verpflichtend, weil man nie die entsprechenden Wohlthaten entgelten kann. II. Die rein moralischen Vorschriften schließen ihren offenbaren Grund in sich ein. Sonach brauchte kein Grund hinzugefügt zu werden. Bei manchen Geboten aber wird hinzugefügt ein Ceremonialgebot, welches das moralische näher für Zeit und Ort bestimmt, wie im ersten: „Du sollst kein geschnitztes Bild machen“ und im dritten, wo als Tag der Sabbath bestimmt wird. Also mußte da ein Grund beigelegt werden. III. Die Menschen beziehen zumeist ihre Thätigkeiten auf irgend einen Nutzen hin; und deshalb ward in jenen Geboten, wo kein Nutzen offenbar war oder wo ein solcher gehindert werden konnte, die Verheißung einer Belohnung hinzugefügt. Weil nun die Eltern bereits beginnen, von der Welt abzutreten, so wird von ihnen wenig Nutzen erwartet; und deshalb ist da eine Verheißung hinzugefügt. Und weil durch das Verbot des Götzendienstes ein scheinbarer Nutzen gehindert wurde, auf den man hoffte vermittelst der Verträge mit den Dämonen; deshalb ward auch hier eine Belohnung verheißen. IV. Für jene werden Strafen ausdrücklich angedroht, die hingeneigt sind und bereitwillig zum Bösen. Nun waren aber die Juden in erster Linie hingeneigt zum Götzendienste wegen der Gewohnheit der sie umgebenden Völker; und ähnlich sind die Menschen hingeneigt zum Fluchen wegen der zahlreichen Gelegenheiten dazu. Also wurden zu den beiden ersten Geboten Strafen hinzugefügt. V. Das dritte Gebot ist gegeben als Erinnerung an die vergangene Wohlthat der Erschaffung. Also wird da speciell das Gedächtnis erwähnt.
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