Fünfter Artikel. Gottes Wille hat keine Ursache.
a) Es scheint, daß man für den göttlichen Willen irgend welche Ursache nachweisen kann. Denn: I. Wer wagt zu sagen,“ so Augustinus (83. quaest. 46.), „daß Gott ohne Vernunft alles geschaffen habe.“ Für den vernünftig Handelnden aber besteht immer nicht nur eine Form, gemäß welcher er handelt, sondern auch ein Grund für sein Wollen. Also besteht für Gottes Wollen ein Grund. II. Wenn jemand einzig und allein gemäß seinem Willen handelt ohne irgend einen weiteren Grund, so kann für die entsprechende Wirkung kein anderer Grund angegeben werden, wie der Wille des Wirkenden. Nun ist aber alles in der Natur von Gott gewirkt; also würde man für jegliches im All nur als Grund angeben können: den Willen Gottes. Damit ginge aber alle Wissenfchaft zu Grunde, deren Aufgabe ja darin besteht, von den einzelnen Wirkungen die entsprechenden maßgebenden Ursachen anzügeben; was offenbar nicht gesagt werden kann. . III. Was vom Wollenden vermittelst keiner anderen weiteren Ursache ausgeht, das hängt nur allein von diesem Willensakte einfach ab. Hat also der Wille Gottes keinen weiteren Grund, so ist eben nur alles infolge eines einfachen Willensaktes geschehen und geschieht noch; und eine weitere Ursache gäbe es für nichts. Das ist aber unzuträglich. Auf der anderen Seite sagt Augustin (I. c. qu. 28.): „Jeder wirkende Grund steht im Sein höher wie das Gewirkte.“ Nichts steht aber höher im Sein wie der göttliche Wille. Also ist kein Grund für selben zu suchen.
b) Ich antworte, daß der göttliche Wille in keiner Weise einen anderen Grund voraussetzt. Dies wird erläutert. Da nämlich der Wille die Vernunft begleitet, so gilt für irgend welchen Willensakt die Ursächlichkeit in derselben Weise wie für irgend welchen Erkenntnisakt. Was hier Ursache ist, daß der Erkennende etwas erkennt, so ähnlich wird es sich mit der Ursache verhalten, daß der Wollende etwas will. In der Vernunft aber ist der Vorgang folgendermaßen: Wenn die Vernunft für sich allein das Princip versteht und ebenso für sich allein die durch die Schlußfolge bekannt gewordene Wahrheit; so ist ganz offenbar das Verständnis des Princips die Ursache von jenem Wissen, dessen Gegenstand die Schlußwahrheit ist. Wenn aber die Vernunft im Principe selber die von der Schlußfolge erschlossene Wahrheit bereits sehen würde, ohne daß sie den Prozeß vom Princip aus bis zur Schlußwahrheit durchzumachen hätte; so verstände sie wohl, daß das Princip die Ursache der Schlußwahrheit ist, aber in ihr selbst würde das Verständnis des Princips nicht die Ursache von der Kenntnis der Schlußwahrheit sein. So verhält es sich nun auch auf seiten des Willens, wo der Zweck das Princip vertritt und die Mittel zum Zwecke die aus dem Princip gefolgerte Wahrheit vorstellen. Wenn deshalb jemand mit dem einen Akte den Zweck will und mit einem anderen die Mittel zum Zwecke, so ist das Wollen des Zweckes die Ursache für das Wollen der Mittel. Das eine Wollen ist der Grund vom anderen Wollen. Das Wollen der Gesundheit z. B. ist der bewirkende Gnmd für das Wollen der bitteren Medizin. Wenn aber jemand mit einem einzigen Akte den Zweck will und die Mittel dazu, so kann dies nicht statthaben. Denn ganz dasselbe kann nicht Grund seiner selbst sein. Und trotzdem wird es wahr sein zu sagen, dieser Wille wolle die Mittel zum Zwecke hin in Beziehung bringen. Gott aber erkennt alles wie in einem Akte in seinem Wesen; und Er will alles mit einem Akte in seiner Güte. Sowie deshalb das Erkennen, welches sich auf die Ursache richtet, in Gott nicht die Ursache ist für das Erkennen, welches sich auf die Wirkung richtet; sondem wie Er die Wirkung in der Ursache sieht; — so ist das Wollen, dessen Gegenstand der Zweck ist, in Gott nicht die Ursache des anderen Wollens, dessen Gegenstand die Mittel zum Zwecke sind; und doch will Gott, daß die Mittel zum Zwecke hingeordnet seien. Er will also, daß das eine wegen des anderen, daß es im anderen begründet sei; nicht aber will Er das eine deshalb, weil Er das andere will. I. Gottes Wille ist vernünftig; denn Er will, daß das eine sei auf Grund des anderen. II. Ebenso will Gott, daß die Wirkungen aus gewissen bestimmten Ursachen hervorgehen, damit die Ordnung in den Dingen gewahrt bleibe. Also ist es nur em Sichanpassen an den Willen Gottes, wenn die menschliche Vernunft für die verschiedenen Wirkungen die entsprechenden nächsten Ursachen in den verschiedenen Wissenschaften erforscht. Freilich wäre die Wissenschaft in dem Falle überflüssig, wenn sie verschiedene „erste Ursachen“ suchte. Und danach spricht Augustin (3. de Trin. cap. 2.): „Es gefiel der Eitelkeit der Philosophen, auch anderen (ersten) Ursachen Wirkungen zuzuschreiben, die infolge der Schwäche der ursächlichen Kraft fehlgehen und einen Mangel in sich schließen können. Denn sie konnten nicht verstehen die über alle erhabene erste Ursache, den Willen Gottes.“ III. Da nun Gott will, daß die Wirkungen aus entsprechenden nächsten Ursachen hervorgehen, so setzen solche Wirkungen für sich nicht bloß eine, sondern verschiedene Ursächlichleiten voraus, und nicht einzig und allein den Willen Gottes; nur also die ersten Wirkungen hängen von Gott allein ab. Es ist als ob wir sagen würden, Gott wollte, daß der Mensch Hände habe, die der Vernunft dienten zur Ausführung der verschiedenen aufgefaßten Werke; — und Er wollte, daß der Mensch die Vernunft habe, dazu daß er Mensch sei; — und Er wollte, daß der Mensch Seiner, Gottes, genieße oder ein Glied im Ganzen sei. Hier nun hört aber das Zurückführen auf eine andere Ursache oder einen anderen Zweck auf. Dies letztere hängt allein vom einfachen Willen Gottes ab; das Vorhergehende aber noch dazu von anderen Ursachen.
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