Achter Artikel. Das Eingießen der Gnade ist der Ordnung der Natur gemäß das Erste, was zur Rechtfertigung erfordert wird.
a) Dagegen richten sich folgende Gründe: I. Zuerst kommt das Abstehen vom Übel und dann das Hervortreten zum Guten, nach Ps. 33.: „Stehe ab vom Übel und thue das Gute.“ Zuerst also kommt der Nachlaß der Sünde und dann die Gnade. II. Die Vorbereitung geht der Natur nach vorher der Form, welche vorbereitet wird. Die freie Willensbewegung aber ist eine gewisse Vorbereitung für den Empfang der Gnade. III. Die Sünde hindert den Geist, daß er nicht frei auf Gott sich richte. Also kommt zuerst der Nachlaß der Sünde, dann die freie Willensbewegung und schließlich das Eingießen der Gnade. Auf der anderen Seite ist die Ursache früher als die Wirkung. Das Eingießen der Gnade aber ist die Ursache alles Übrigen in der Rechtfertigung.
b) Ich antworte, der Zeit nach sei Alles zugleich, was zur Rechtfertigung erfordert wird; der Ordnung der Natur d. h. der Begründung nach aber sei zuerst das Eingießen der Gnade, dann die freie Willensbewegung zu Gott hin, ferner die freie Willensbewegung gegen die Sünde, endlich der Nachlaß der letzteren. Denn in jeder Bewegung kommt zuerst der Anstoß zur Bewegung, der vom Bewegenden ausgeht; dann die Vorbereitung oder die Bewegung im Beweglichen; und endlich der Abschluß der Bewegung. Also der Ordnung der Natur nach ist zuerst der Anstoß für die Thätigkeit des freien Willens, nämlich das Eingießen der Gnade; dann die freie Willensbewegung zu Gott hin und an dritter Stelle die gegen die Sünde. Die freie Willensbewegung zu Gott hin ist nämlich der Grund für den Abscheu gegen die Sünde; deshalb verabscheut der Mensch die Sünde, weil er Gott sich nähert; schließlich ist der Nachlaß der Sünde.
c) I. Von seiten des Beweglichen ist früher das Abstehen vom Bösen; denn früher ist da das Gegenteil, welches abgeworfen wird, wie das durch die Bewegung Erreichte. Von seiten des Bewegenden ist es umgekehrt. Denn kraft der Form, auf welche der Einwirkende sich richtet und die in ihm vorherbesteht, ist er thätig, um deren Gegenteil zu entfernen. So ist von seiten der Sonne zuerst das Licht und dann die Entfernung der Finsternis; von seiten der Luft aber ist zuerst die Finsternis und dann die Erreichung des Lichtes der Natur nach, wenn auch der Zeit nach Beides zugleich sich findet. Und weil das Eingießen der Gnade und der Nachlaß der Sünde aufgefaßt werden von seiten Gottes, der da rechtfertigt, her, so ist schlechthin der Ordnung der Natur nach eher die Eingießung der Gnade wie der Nachlaß der Sünde. Oder man kann sagen, die beiden Endpunkte der Rechtfertigung sind die Schuld als Ausgangspunkt und die Gnade als Zielpunkt. Die Gnade aber ist die Ursache für den Nachlaß der Schuld und für die Erlangung der Gerechtigkeit. II. Im Subjekte geht die Vorbereitung vorher der Aufnahme der Form; sie folgt aber dem Einwirken der wirkenden Ursache, wodurch das Subjekt vorbereitet wird. Und so folgt der Gnadenzustand der freien Willensbewegung im Menschen nach; letztere aber folgt dem Anstoße oder dem Eingießen der Gnade. III. „In den Bewegungen der Seele geht durchaus vorher, die Bewegung zum Princip des Nachdenkens oder zum Zwecke des Handelnden,“ heißt es 2 Physic. In den stofflichen äußeren Bewegungen aber geht die Entfernung des Hindernisses vorher der Erreichung des Zielpunktes. Die freie Willensbewegung aber ist eine Thätigkeit der Seele. Also zielt diese Bewegung zuerst auf Gott hin als auf den Zweck; und dann auf die Entfernung des Hindernisses, das in der Sünde besteht.
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