Erster Artikel. Der Mensch kann bei Gott etwas verdienen.
a) Dem wird widersprochen: I. Niemandem wird als Verdienst angerechnet, daß er einem anderen gegenüber thut, was er muß; wie es Luk. 17. heißt: „Wenn ihr Alles gethan habt, was geboten ist, so saget: Wir sind unnütze Knechte; was wir thun mußten, haben wir gethan.“ (Vgl. 8 Ethic. c. ult.) II. Der Mensch nützt nur sich selbst, nicht aber Gott, wenn er Gutes wirkt. Also verdient er dafür nichts von seiten Gottes. Denn Job 35. heißt es: „Wenn du gerecht handelst, was wirst du Ihm geben; oder was wird Er von deiner Hand empfangen?“ Also können wir bei Gott nichts verdienen. III. Verdienten wir etwas von seiten Gottes, so wäre Gott unser Schuldner, was gegen Röm. 11. ist: „Wer hat Ihm zuerst gegeben, auf daß ihm wieder vergolten werde.“ Auf der anderen Seite heißt es bei Jerem. 31.: „Und einen Lohn wird dein Wirken haben.“ Lohn wird aber das genannt, was verdient worden ist.
b) Ich antworte, Verdienst und Lohn komme auf dasselbe hinaus. Denn Lohn wird genannt gleichsam der Preis einer Arbeit oder eines Dinges. Wie es also ein Akt der Gerechtigkeit ist, daß jemand für eine von ihm angekaufte Sache den richtigen Preis zahle, so ist es ein Akt der Gerechtigkeit, für eine Arbeit das richtige Entgelt zu geben. Die Gerechtigkeit aber ist eine gewisse Gleichheit. Also ist Gerechtigkeit schlechthin nur, unter jenen, unter denen schlechthin Gleichheit ist. Wo aber keine solche Gleichheit ist, da besteht nur eine gewisse Art und Weise der Gerechtigkeit, wie Aristoteles das „väterliche Recht“ ein „gewisses“ Recht nennt. (5 Ethic. 6.) Wo also schlechthin Gerechtes ist, da ist schlechthin und ohne weiteres Verdienst und Lohn. Wo jedoch nur nach einer gewissen Seite hin von Gerechtem gesprochen werden kann, da wird nur nach dieser Seite hin der Charakter der Gerechtigkeit gewahrt; wie z. B. der Sohn nur unter gewissen Voraussetzungen beim Vater etwas verdient. Nun herrscht zwischen Gott und dem Menschen im höchsten Grade Ungleichheit; und Alles, was der Mensch hat, das hat er von Gott. Also kann es für den Menschen Gott gegenüber keine Gerechtigkeit schlechthin geben, sondern nur gemäß einem gewissen Verhältnisse; insoweit Gott und der Mensch je nach ihrer Weise thätig sind. Es ist aber das Maß und die Weise der menschlichen Tugend für jeden Menschen von Gott. Also kann es kein Verdienst des Menschen bei Gott geben außer unter Voraussetzung der göttlichen Anordnung; so nämlich, daß dies der Mensch von Gott erhalte durch sein Wirken, wozu Gott ihm die Kraft gegeben hat; wie ja auch die Dinge in der Natur zu jenem Zwecke durch ihr Thätigsein gelangen, wozu sie von Gott hingeordnet worden sind. Nur ist dies der menschlichen Kreatur als einer frei vernünftigen eigen, daß sie sich selbst bestimmt zum Thätigsein, wonach ihre Thätigkeit den Charakter des Verdienstes hat.
c) I. Weil der Mensch aus eigenem freien Willen thut, was er soll, deshalb verdient er; sonst wäre der Akt der Gerechtigkeit, kraft dessen jemand seine Schuldigkeit thut, nicht verdienstlich. II. Gott sucht in unseren Werken keinen Nutzen, sondern die Offenbarung, seiner Güte, also Ehre; was Er auch in seinen eigenen Werken zum Zwecke hat. Daß wir Ihn aber ehren, daraus erwächst Ihm kein Vorteil, sondern uns; und deshalb verdienen wir bei Ihm aus dem Grunde, weil wir zu seiner Ehre wirken, nicht weil Ihm ein Vorteil erwachse aus unseren Werken. III. Unser Werk hat nur Verdienst bei Gott infolge der göttlichen Anordnung; also wird Gott nicht uns gegenüber Schuldner, sondern Sich selbst gegenüber.
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