Sechster Artikel. Die Unterscheidung des zu Glaubenden in Glaubensartikel ist zulässig.
a) Dies scheint unzulässig.Denn: I. Alles, was in der Schrift steht, ist Gegenstand des Glaubens. Dies kann aber wegen der großen Menge nicht in bestimmte Artikel gefaßt werden. II. Nicht nach den materialen, zufälligen Gegenständen darf unterschieden werden. Der Formalgrund des zu Glaubenden ist aber immerdar ein und derselbe, Gott als die erste Wahrheit. Also ist da überhaupt keine Unterscheidung möglich. III. „Ein Glaubensartikel ist eine unteilbare Wahrheit, die Gott den Herrn betrifft und von uns Glauben fordert;“ definieren einige. Glauben aber bleibt immer ein freiwilliges Zustimmen: „Keiner glaubt, außer weil er will;“ sagt Augustin. (24. in Joan.) Von einem Fordern ist da also keine Rede. Auf der anderen Seite schreibt Isidor: „Der Glaubensartikel ist die Auffassung der göttlichen Wahrheit und ist auf letztere hin gerichtet.“ Auffassen aber die göttliche Wahrheit kommt uns zu gemäß einer gewissen Unterscheidung; denn was in Gott eins ist, wird vielfaltig in unserer Vernunft.Also muß das zu Glaubende in gewisse Artikel gefaßt werden.
b) Ich antworte; der Name „Artikel“ scheint vom griechischen ἄρθρον zu kommen, was da anzeigt ein gewisses Ineinandergefügtsein mehrerer voneinander verschiedenen Teile. Deshalb spricht man bei den Gliedern des Körpers von articuli. Und ebenso werden bei den Griechen in der Grammatik „Artikel“ genannt einzelne Redeteile, welche anderen Ausdrücken und Redeteilen organisch hinzugefügt werden, um deren Geschlecht, Zahl, Fall zu bestimmen. Dasselbe findet statt in der Rhetorik, wo nach Cicero (4 Rhet.) einzelne Teile, die miteinander in harmonischem Zusammenhange stehen, „Artikel“ genannt werden: „Artikel heißt man es, wenn man in kurz abgebrochener Rede einzelne Worte durch gewisses Innehalten der Stimme scheidet, so etwa: Mit Zorn, Sprechen, Gesichtsausdruck hast du deine Gegner erschreckt.“ Insoweit also das vom. Christen zu Glaubende in einzelne Teile geschieden wird, die miteinander in organischem Zusammenhange stehen, wird von Glaubensartikeln gesprochen. Nun ist der Gegenstand des Glaubens etwas „nicht Geschautes“. Wo also etwas entgegentritt, was auf besonderen Grund hin etwas „nicht Geschautes“ ist; da ist ein besonderer Glaubensartikel zu setzen. Wo aber Vieles aus dem nämlichen Grunde gekannt ist oder nicht gekannt, da soll kein Unterschied in den Artikeln gemacht werden. So besteht eine andere Schwierigkeit, um zu glauben und kraft dessen zu erkennen, daß Gott gelitten hat und gestorben ist, wie dafür, um zu glauben, daß Er wieder auferstanden ist. Und deshalb wird der Glaubensartikel des Todes des Herrn unterschieden von seiner Auferstehung. Daß aber der Herr gelitten hat, gestorben und begraben worden ist, das bietet die nämliche Schwierigkeit dar; und so gehört dies zu einem Artikel.
c) I. Manches ist an und für sich Gegenstand des Glaubens; wie jenes Alles, was uns zum ewigen Leben direkt hinordnet, nach Hebr. 11.: „Der Glaube ist die Grundlage der zu hoffenden Dinge.“ Dazu gehören die drei Personen in Gott, das Geheimnis der Menschwerdung und Ähnliches. Anderes wird in der heiligen Schrift als zu glauben vorgestellt, nur um dieses an sich zu Glaubende offenbar zu machen oder zu erläutern; wie daß Abraham zwei Söhne gehabt hat, daß durch das Anrühren der Gebeine des Elisäus ein Toter auferweckt worden ist u. ähnl.; was Alles erzählt wird, um auf die göttliche Majestät oder die Menschwerdung aufmerksam zu machen. Bloß nach dem an sich zu Glaubenden aber werden Artikel unterschieden. II. Von seiten des geglaubten Gegenstandes ist der Formalgrund für den Glauben nur einer, die erste Wahrheit.Von unserer Seite aber ist der Formalgrund des Glaubens das „Nicht-geschaut-sein“.Und je nachdem hier verschiedene Gründe, weshalb etwas nicht von uns geschaut werden kann, oder verschiedene Schwierigkeiten für den Glauben obwalten, ist eine Unterscheidung in Artikel förderlich. III. Jene Definition wird gemäß einer gewissen Etymologie gegeben, soweit man den Namen „Artikel“ vom Lateinischen ableitet; und nicht, so weit er vom Griechischen kommt. Sie wiegt deshalb nicht schwer. Jedoch besteht immerhin ein Erfordernis, zu glauben, soweit die Notwendigkeit in Betracht kommt welche vom Endzwecke sich ableitet, wie der Apostel sagt: „Wer zu Gott hinantreten will, muß glauben;“ und „ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen.“ Damit besteht, daß kein äußerer Zwang zum Glauben treibt, sondern derselbe freiwillig ist.
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