Sechster Artikel Über die Schwere des Unglaubens bei den Heiden.
a) Derselbe scheint schwerer zu sein wie aller übrige Unglaube. Denn: I. Wie jene Krankheit schwerer ist, welche ein hauptsächliches Glied angreift; so ist jene Sünde schwerer, welche dem entgegensteht, was in der Tugend an leitender Stelle steht. Die leitende Stelle aber im Glauben ist die Einheit Gottes, wogegen die Heiden eine Vielheit von Göttern annehmen. II. Unter den Häresien ist die eine verderblicher wie die andere, je nachdem sie mehreren und haupsächlicheren Lehrpunkten widerspricht; wie Arius verderblicher irrte, der dem Sohne Gottes die Gottheit bestritt, als Nestorius, der die Menschheit Christi trennte von der einen göttlichen Person. Die Heiden aber weichen in zahlreicheren Hauptpunkten ab von der Glaubenslehre wie die Juden und Ketzer. Also ist ihr Unglaube der schwerste. III. In den Juden ist ein Gut, denn sie nehmen das Alte Testament an. In den Ketzern ist nach dieser Seite hin ebenfalls etwas Gutes, denn sie nehmen Manches wie die Kirche an. Also sündigen beide Seiten weniger wie die Heiden, die das Alte und Neue Testament verabscheuen. Auf der anderen Seite heißt es 2. Petr. 2.: „Besser war es ihnen, nicht zu kennen den Weg der Wahrheit, als daß sie nach der Kenntnis desselben wieder davon abweichen.“ Also ist die Sünde der Ketzer größer wie die der Heiden, die den Weg der Wahrheit nie gekannt haben.
b) Ich antworte, der Unglaube könne 1. mit dem Glauben verglichen werden; und so ist die Sünde dessen größer, der dem einmal angenommenen Glauben widerstreitet, als die desjenigen, der den Glauben nie besaß; wie jener schwerer sündigt, der nicht thut, was er versprochen, als jener, der dasselbe nicht thut, es aber nie versprochen hat, zu thun. Danach also sündigen die Ketzer, die den Glauben an das Evangelium bekennen, ihn aber verderben, schwerer wie die Juden, die nie das Evangelium anerkannten. Und weil diese einmal den Glauben in der Figur anerkannten, welche sie jetzt schlecht erklären und verderben, so ist ihr Unglaube wieder schwerer, wie jener der Heiden. Es kann 2. im Unglauben betrachtet werden die Leugnung dessen, was zum Glauben gehört. Und so irren schwerer, weil in Mehrerem, die Heiden wie die Juden; und diese mehr wie die Häretiker, ausgenommen einige von den letzteren, die mehr leugnen wie die Heiden, z. B. die Manichäer. Mit Rücksicht auf die Schuld nun ist der erste Gesichtspunkt entscheidender wie der folgende; denn die Schuld des Unglaubens besteht darin, daß er widerstrebt dem Glauben, da die Unkenntnis allein eher den Charakter der Strafe hat. Sonach ist, um schlechthin zu sprechen, die Häresie der schwerste Unglauben.
