Zwölfter Artikel. Die Kinder der Juden und sonstigen Ungläubigen dürfen nicht gegen den willen der Eltern getauft werden.
a) Das Gegenteil scheint selbstverständlich zu sein. Denn: I. Ein größeres Band ist das Band der Ehe wie das Recht der Eltern gegenüber ihren Kindern. Letzteres nämlich wird durch den Menschen gelöst, wenn die Kinder als großjährig erklärt werden; das Band der Ehe kann aber durch keinen Menschen gelöst werden, denn „was Gott verbunden, soll der Mensch nicht trennen.“ (Matth. 19.) Durch den Unglauben aber wird gelöst das Band der Ehe; denn „wenn der Ungläubige weggeht, daß er weggehe; da keiner Knechtschaft in derartigen Dingen der Bruder oder die Schwester unterworfen ist,“ sagt Paulus 1. Kor. 7. Und das kanonische Recht schreibt vor: „Wenn der ungläubige Teil mit dem anderen gläubigen, ohne den Schöpfer zu schmähen, nicht zusammenwohnen will, dann ist der andere gläubige Teil nicht dazu gezwungen.“ Um so mehr also nimmt der Unglaube das Recht der Eltern ihren Kindern gegenüber hinweg, so daß letztere gegen den Willen der Eltern getauft werden können. II. Sähe jemand einen anderen in Todesgefahr, was den Leib betrifft, und er würde nicht helfen, da er könnte, so sündigte er. Um so mehr also muß man den Kindern der Juden und Heiden beispringen, damit sie nicht ihren Eltern überlassen bleiben und so, im Unglauben unterrichtet und groß gezogen, dem ewigen Tode überliefert werden. Somit muß man sie ihnen wegnehmen, taufen und im Glauben unterrichten.III. Die Kinder der Slaven sind Sklaven und in der Gewalt ihrer Herren. Die Juden nun sind Sklaven der Könige und Fürsten, also auch die Kinder derselben. Die Könige also haben die Gewalt, mit den Kindern der Juden zu machen, was sie wollen; also auch, sie gegen den Willen der Eltern zu taufen. IV. Jeder Mensch gehört mehr Gott an, der ihm die Seele gegeben, wie dem leiblichen Vater, von dem er das körperliche Leben hat. Also ist das kein Unrecht, wenn man die Kinder der Juden den leiblichen Eltern fortnimmt und sie Gott durch die Taufe weiht. V. Die Taufe ist wirksamer zum Heile wie die Predigt; denn durch die Taufe wird die Schuld fortgenommen und die verdiente Strafe und somit die Himmelsthüre geöffnet. Folgt aber eine Gefahr infolge der Verzögerung im Predigen, so wird dies jenem zugerechnet, der nicht gepredigt hat; wie dies Ezechiel (3. u. 33, 6.) erklärt von dem, „der das Schwert kommen sieht und nicht in die Posaune stößt.“ Um so mehr also ist es zur Schuld anzurechnen dem, der vernachlässigt hat, die Taufe zu spenden, da er es konnte; wenn deshalb die betreffenden Kinder verdammt werden. Auf der anderen Seite geschähe den Juden ein Unrecht, wenn gegen den elterlichen Willen die Kinder getauft würden; denn sie verlören ihr väterliches Recht auf die Kinder, die getauft worden.
b) Ich antworte, die höchste Autorität wohne der Gewohnheit der Kirche inne, der man in Allem folgen muß; denn die Lehre der katholischen Gelehrten selber hat ihre Autorität einzig von der Autorität der Kirche. Mehr also muß man auf die letztere geben, wie auf die Autorität Augustins, Hieronymus oder eines anderen Kirchenlehrers. Dies nun war nie im Gebrauche der Kirche, daß die Kinder der Juden gegen den Willen ihrer Eltern getauft wurden, obgleich in der Vergangenheit viele große und mächtige Fürsten waren, wie Konstantin und Theodosius, deren vertraute Ratgeber sehr heilige Bischöfe waren; wie Konstantin mit Sylvester, Theodosius mit Ambrosius auf vertrautem Fuße stand, die in keiner Weise vernachlässigt hätten, dementsprechende Gesetze zu verlangen, wenn dies der Vernunft entsprechend gewesen wäre. Deshalb scheint es gefahrvoll, diese Behauptung von neuem aufzustellen, daß man die Kinder der Juden gegen die bisherige Gewohnheit der Kirche wider den Willen der Eltern taufe. Der Grund für den kirchlichen Brauch nun ist ein doppelter: 1. Es erscheint eine Gefahr für den Glauben darin zu liegen, wenn man Kinder, die noch nicht das Unterscheidungsalter haben, tauft; denn kämen sie nachher zu reiferem Alter, so könnten sie leicht von den Eltern dazu gebracht werden, darauf zu verzichten, wozu sie unwissend sich verpflichtet haben; dies aber würde offenbar dem Glauben zum Nachteile gereichen. 2. Dies widerstreitet dem Naturrechte. Denn das Kind gehört von Natur zum Vater. Solange es nämlich im Mutterleibe ist, wird sein Leib dem Leben nach von dem der Mutter nicht unterschieden. Und nachher, bevor das Kind zum Gebrauche des freien Willens kommt, steht es unter der Obsorge der Eltern und ist da wie in einem geistigen Mutterleibe. Denn solange das Kind nicht den freien Gebrauch der Vernunft hat, ist es im thatsächlichen Wirken nicht unterschieden vom vernunftlosen Tiere. Wie also das Rind oder das Pferd einem Besitzer gehört, der sich dessen, wann er will, bedient als eines ihm zugehörigen Werkzeuges, soweit das bürgerliche Recht in Betracht kommt; — so ist es Naturrecht, daß das Kind vor den Unterscheidungsjahren der Sorge des Vaters untersteht. Gegen die natürliche Gerechtigkeit also wäre es, wenn das Kind vor der erwähnten Zeit der Sorge der Eltern entzogen oder mit ihm etwas vorgenommen würde gegen den Willen der Eltern. Ist aber das Kind zum freien Gebrauche der Vernunft gelangt, da beginnt es, seines eigenen Rechtes zu sein; und es kann, soweit es auf das natürliche oder göttliche Recht ankommt, sich selbst bestimmen. Dann also ist es zum Glauben hinzuleiten; nicht zwar durch Zwang, sondern durch überzeugende Gründe. Und da kann nun das Kind auch gegen den Willen seiner Eltern zustimmen, den Glauben annehmen und getauft werden; nicht aber bevor es den Gebrauch der Vernunft hat. Deshalb sagt man, die Kinder der alten Patriarchen seien gerettet worden im Glauben der Eltern; wodurch zu verstehen gegeben ward, daß es den Eltern zugehört, für das Heil der Kinder zu sorgen; zumal ehe diese zu den Unterscheidungsjahren gelangt sind.
c) I. In der Ehe haben beide Teile den freien Gebrauch ihrer Vernunft. Hat also das Kind den freien Gebrauch seiner Vernunft, dann entspricht die Ähnlichkeit. II. Gegen die Ordnung des bürgerlichen Rechts darf man niemanden dem leiblichen Tode entziehen. Wenn z. B. jemand von seinem vorgesetzten Richter zum Tode verurteilt wird, so darf ihn niemand mit Gewalt dem entreißen. Also darf auch niemand die Verpflichtung des Naturrechtes lösen, kraft dessen das Kind unter der Obsorge des Vaters ist; damit dieser es dem ewigen Tode entreiße. III. Die Juden sind Sklaven der Fürsten nach dem bürgerlichen Rechte; das schließt aber nicht die Beobachtung des Naturrechtes oder des göttlichen Rechtes aus. IV. Der Mensch wird zu Gott hingeordnet durch die Vernunft, kraft deren er Gott erkennen kann. Also bevor das Kind den Gebrauch der Vernunft hat, wird es zu Gott hingeordnet vermittelst der Vernunft der Eltern, deren Sorge es von der Natur überlassen ist; und nach deren Bestimmung ist es zu Göttlichem zuzulassen. V. Die Gefahr, welche aus der Nachlässigkeit im Predigen entsteht, droht nur jenen, deren Amt es ist zu predigen. Deshalb schickt Ezechiel da voraus (3, 17.): „Zu einem Propheten habe ich dich gemacht für die Kinder Israels.“ Sorgen aber, daß die Kinder der Ungläubigen die Sakramente des Heils empfangen, ist Sache oder ist das Amt der Eltern. Ihnen also droht die Gefahr, wenn wegen ihrer Schuld den Kindern die Sakramente des Heils entzogen werden und so diese ewig zu Grunde gehen.
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