Zweiter Artikel. Das Verhältnis eines vom Glauben abgefallenen Fürsten zum Verluste seiner Macht gegenüber den Unterthanen.
a) Der Fürst verliert infolge seines Abfalls nicht die Herrschaft über seine Unterthanen, so daß diese ihm nicht mehr zu gehorchen gehalten seien. Denn: I. Ambrosius sagt (in Ps. 124 non relinquet): „Der Kaiser Julian war wohl ein abgefallener Fürst; aber er hatte christliche Soldaten unter sich, die ihm, wenn er befahl, gegen den Feind zu marschieren, gehorchten.“ II. Ungläubigen haben heilige Männer treu gedient, wie Joseph dem Pharao, Daniel dem Nabuchodonosor. Der Abgefallene ist aber ein Ungläubiger. IIl. Durch jede Sünde entfernt man sich von Gott. Würde also der Abfall vom Glauben im Fürsten den Ungehorsam der Unterthanen rechtfertigen, so würde dazu jede Sünde genügen; was unzulässig ist. Auf der anderen Seite steht der Text des heiligen Gregor VII. (caus. 4, 15.; qu. 7.): „Wir aber, festhaltend an den Satzungen unserer Vorgänger, lösen jene, welche den aus der Kirchengemeinschaft Ausgeschlossenen durch den Eid der Treue verpflichtet sind, auf Grund apostolischer Autorität vom Eide der Treue; und verbieten durchaus, daß man ihnen gehorche, bis sie Genugthuung gegeben haben.“ Die Abgefallenen aber sind wie die Häretiker von der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen. Also ist Fürsten, die abgefallen sind, nicht zu gehorchen.
b) Ich antworte, der Unglaube an sich sei nicht, wie oben gezeigt, im Widersprüche mit der gesetzmäßigen Macht zu herrschen. Denn diese Macht ist im Völkerrecht begründet; der Unterschied von „gläubig“ und „ungläubig“ aber kommt vom göttlichen Rechte, welches das menschliche Recht nicht aufhebt. Jedoch kann kraft rechtskräftigen kirchlichen Urteils ein Abgefallener oder auch ein anderer Sünder sein Recht zu herrschen verlieren. Der Kirche nun gehört es nicht zu, den Unglauben zu strafen in denen, die niemals zu ihr gehörten; nach 1. Kor. 5, 12.; (vgl. oben.) Nur den Unglauben derer, welche den katholischen Glauben bereits angenommen hatten, kann sie kraft richterlichen Urteils strafen. Und die Strafe, daß sie ihr Recht zu herrschen verlieren, ist eine angemessene; denn dies könnte sehr zum Nachteile des Glaubens gereichen, wenn ein solcher Fürst mit seiner Gewalt „in seinem Herzen Schlechtes sänne und Streit und Zank anstiftete,“ damit er die Menschen vom Glauben entferne. Wird also von der kirchlichen Autorität ein solcher Spruch gegen einen abgefallenen Fürsten gefällt, so sind ipso facto die Unterthanen der Pflicht entbunden, ihm zu gehorchen.
c) I. Zu jener Zeit war die Kirche noch zu neu; und hatte nicht die Macht, die irdischen Fürsten zu zügeln.1 Deshalb duldete sie den Kaiser Julian, daß man ihm gehorche in dem, was nicht den Glauben anging, damit größere Gefahr vermieden werde. II. Ist oben beantwortet. III. Der Abfall vom Glauben trennt den Menschen ganz und gar von Gott; was bei den übrigen Sünden nicht der Fall ist.
Später war ja die Häresie, der Abfall vom Glauben etc. auch Staatsverbrechen. Vgl. meinen Gregor VII. im ganzen dritten Teile. ↩
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