Zweiter Artikel. Rücksichtlich der Furcht ziemte es sich, daß Gebote gegeben wurden.
a) Das Gegenteil wird aufrecht gebalten. Denn: I. Die Furcht Gottes erstreckt sich nur auf die Vorbereitung zum Gesetze; sie ist nämlich „der Anfang der Weisheit.“ Was aber nur vorbereitend sich zum Gesetze verhält, fällt nicht unter die Gebote des Gesetzes. Über die Furcht also war kein Gebot notwendig. II. Jede Furcht kommt von der Liebe. Es genügen also Gebote über die Liebe. III. Der Furcht steht gegenüber das freventliche Vornehmen. Dieses aber ist durch kein Verbot getroffen. Also durfte auch nicht die Furcht geboten werden. Auf der anderen Seite heißt es Deut. 10.: „Und nun, Israel, was fordert der Herr dein Gott anders von dir als daß du fürchtest den Herrn deinen Gott!“
b) Ich antworte, soweit es die knechtische Furcht betrifft, so gelte hier dasselbe wie oben von der Hoffnung; denn sowohl durch die Hoffnung auf Lohn wie durch Furcht vor Strafe wird der Mensch angeleitet zm Beobachtung der Gebote. Was in der ersten Veröffentlichung des Gesetzes also für die Hoffnung die Verheißungen waren, das waren für die Furcht die Drohungen von Strafen; wie solche auch in den zehn Geboten enthalten sind. Später kamen wirkliche formelle Gebote über die Furcht seitens der Weisen hinzu. Die kindliche Furcht aber steht nach dieser Seite hin gewissermaßen auf derselben Stufe wie die Liebe Gottes. Es werden deshalb, wie über die Liebe, so auch über die Gott zu erweisende Ehrerbietung ausdrückliche Gebote im Gesetze selber gegeben, damit so die äußeren vorgeschriebenen Akte im rechten Geiste geschähen; wie Deut. l. c.
c) I. Die kindliche Furcht ist etwas zum Gesetze Vorbereitendes; aber nicht wie von außen her, sondern wie das Princip des Gesetzes; ebenso wie die Liebe. Und deshalb werden über Beides Gebote gegeben, die da vorstellen gewissermaßen die gemeinsamen Principien des ganzen Gesetzes. II. Aus der Liebe folgt die kindliche Furcht wie auch alle anderen guten Werke. Wie also rücksichtlich anderer guter Werke eigene Gebote gegeben werden, so auch rücksichtlich der Furcht. So stellt man desgleichen in den Wissenschaften nicht nur die ersten gemeinsamen Principien ausdrücklich hin, sondern auch die näheren oder entfernteren Schlußfolgerungen. III. Das Anleiten zur Furcht genügt, um das freventliche Vornehmen auszuschließen; wie das Anleiten zur Hoffnung genügt, um die Verzweiflung auszuschließen. Nun bleibt die Liebe noch zu betrachten übrig. Und zwar soll da zuerst die Liebe behandelt werden, und dann die Gabe der Weisheit. Was die Liebe betrifft, so find fünf Punkte zu besprechen: 1. die Liebe selber; 2. ihr Gegenstand; 3. ihre Thätigkeiten; 4. die ihr entgegenstehenden Laster; 5. die ihr entsprechenden Gebote. Die Betrachtung der Liebe selber wieder ist eine doppelte: 1. die Liebe an sich betrachtet; 2. ihr Verhältnis zu dem, wo sie ihren Sitz hat.
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