Zweiter Artikel. Die heilige Liebe ist etwas in der Seele Geschaffenes, derselben Innewohnendes.
a.) Dem wird widersprochen. Denn: I. Augustin sagt (8. de Trin. 8.): „Wer den Nächsten liebt, der liebt folgerichtig die Liebe selbst.“ Gott aber ist die Liebe. Also liebt er in erster Linie Gott. Wie aber nach Augustin (15. de TIrin. 17.) „gesagt worden: Gott ist Geist, so ist auch gesagt worden: Gott ist die Liebe.“ Also ist die Liebe Gott selbst und nichts Geschaffenes in der Seele. II. Was die Seele für den Körper, das ist Gott für die Seele; denn „Er, Gott selber, ist dein Leben“ nach Deut. 30. Die Seele aber giebt von sich selbst aus unmittelbar dem Leibe Leben, nicht vermittelst von etwas Anderem. Also belebt auch Gott durch Sich selber die Seele. Er belebt sie aber durch die heilige Liebe, nach I. Joh. 3.: „Wir wissen, daß wir vom Tode zum Leben hinübergetragen worden sind, weil wir die Brüder lieben.“ Also ist Gott selber die Liebe. III. Alle Kreatur ist eitel und leer, anstatt mit unendlicher Kraft ausgestattet zu sein. Die heilige Liebe aber ist nicht eitel, sondern widerstreitet vielmehr der leeren Eitelkeit; sie ist dafür jedoch mit unendlicher Kraft ausgerüstet, denn sie führt die Seele zum Unendlichen. Also ist sie nichts Geschaffenes. Auf der anderen Seite sagt Augustin (3. de doct. christ. 10.): Heilige Liebe nenne ich eine Bewegung, welche darauf abzielt, Gottes um Seiner selbst willen zu genießen.“ Jede Bewegung der Seele aber ist etwas Geschaffenes.
b) Ich antworte, nach der Ansicht des Petrus Lombardus (17. dist. 1. Sent.) sei die heilige Liebe der heilige Geist selber und nichts Geschaffenes in der Seele; nicht als ob diese Bewegung, kraft deren wir Gott lieben, der heilige Geist selber sei. Diese Bewegung kommt jedoch nach ihm unmittelbar vom heiligen Geiste und nicht vermittelst eines entsprechenden Zustandes in uns, wie dies bei den anderen Tugenden, dem Glauben, der Hoffnung etc. der Fall ist. Dies sagte er, weil die heilige Liebe so sehr erhaben sei. Wer aber genau zusieht, der wird finden, daß diese Ansicht die Liebe vielmehr herabsetzt. Denn geht die Bewegung der heiligen Liebe so vom Geiste des Menschen aus, daß dieser in Bewegung ist rein kraft des Anstoßes von seiten des heiligen Geistes und in keiner Weise selbst, von seinem Inneren aus, als Princip dieser Bewegung dasteht, so wäre dies, wie wenn ein Stein von außen her in Bewegung gesetzt würde. Das ist aber gegen den Wesenscharakter des Freiwilligen, wo das Princip im Innern des handelnden Wesens sein muß. Lieben also wäre nach dieser Ansicht nichts Freiwilliges; und es wäre dies ein Widerspruch, daß die Liebe ihrem Wesen nach ein Akt des Willens ist. Ebenso kann man nicht sagen, der Wille sei in der Liebe wie ein Werkzeug, das ja desgleichen ein Princip des Gewirkten ist; wenn es auch nicht an ihm liegt, thätig zu sein oder nicht thätig zu sein. Denn auch so wäre der heiligen Liebe nicht der Charakter des Freiwilligen gewahrt; und sie wäre kein Princip dafür, etwas bei Gott zu verdienen, wogegen doch (I., II. Kap. 114, Art. 4.) die heilige Liebe die Wurzel aller Verdienste ist. Mag also immerhin zum Akte der heiligen Liebe der Wille vom heiligen Geiste her den Anstoß erhalten; es muß dies jedoch in der Weise geschehen, daß der Wille selbst, als Wille, der wirkende Grund des Liebeaktes sei. Nun geht keine Thätigkeit in vollkommener Weise von einem wirksamen Vermögen aus, außer in dem Falle daß sie letzterem in der Natur gleichförmig wird vermittelst einer Form, welche als das Princip des Thätigseins betrachtet werden muß. Deshalb hat Gott, der Alles zu dem je gebührenden Zwecke lenkt, den einzelnen Dingen je bestimmte Formen eingeprägt, durch welche sie hingeneigt werden in die von Gott vorherbestimmte Zweckrichtung; danach heißt es (Sap. 8.): „Gott lenkt Alles mit Güte.“ Offenbar aber überragt der Akt der heiligen Liebe die Natur des Willensvermögens. Wenn also keine weitere Form zum natürlichen Vermögen hinzugefügt würde, kraft deren dieses von sich aus hingeneigt würde zum Akte der Liebe, so wäre diese Thätigkeit der Liebe unvollkommener wie die Thätigkeiten, welche der Natur der Vermögen und den anderen Tugenden entsprechen; und sie würde zudem nicht leicht sein und ergötzlich. Das aber ist bekanntermaßen falsch. Denn keine Tugend schließt eine so große Hinneigung ein zu ihrer Thätigkeit; und keine ist mit so großer Freude thätig wie die Liebe. Es ist also im höchsten Grade notwendig, daß behufs des Aktes der heiligen Liebe in uns eine Form nach Weise eines Zustandes als Princip der entsprechenden Thätigkeit existiere, die zum natürlichen Vernunftvermögen hinzugefügt ist und dasselbe vom Vermögen selber aus hinneigt zur Thätigkeit der Liebe, so daß diese leicht und mit Freuden von statten gehe.
c) I. Das göttliche Wesen selber ist Liebe; wie es Weisheit, Macht u. s. w. ist. Wie wir also gut sind durch dte göttliche Güte und weise durch die göttliche Weisheit, weil jene Güte, die als bildende Form innerhalb unsrer selbst sich findet, eine Teilnahme an der Güte vorstellt, die Gott selber ist und weil jene Weisheit, welche wie bildende Form in uns sich findet, als Teilnahme an der Weisheit besteht, welche Gott ist, so ist auch die heilige Liebe, welche in der Weise eines Zustandes in uns bildende Form ist ein Teilnehmen und eine Mitteilung von seiten jener Liebe, die Gott selber dem Wesen nach ist. Diese Weise zu sprechen wie er hier spricht hat Augustin von den Platonikern; was manche nicht beachten und deshalb Gelegenheit nehmen, zu irren. II. Gott ist die wirkende Ursache des Lebens der Seele vermittelst der heiligen Liebe; desjenigen des Leibes aber vermittelst der Seele. Die Seele nun ist die innere bildende Form des Körpers und in dieser ist sie formale Ursache des Lebens im Körper; wie die heilige Liebe die innere formale Ursache des Lebens der Seele ist. III. Die heilige Liebe ist als innere bildende Form thätig. Die Wirksamkeit einer solchen Form aber hängt ab von der Kraft der wirkenden Ursache, von welcher die Form herrührt. Also ist die heilige Liebe keine leere Eitelkeit. Daß sie eine unendliche Wirkung zur Folge hat, weil sie die Seele mit Gott verbindet und sie rechtfertigt, das weist auf die Unendlichkeit der göttlichen Kraft hin, die der wirkende Grund der heiligen Liebe ist.