Neunter Artikel. Der Vater ist kraft der heiligen Liebe mehr zu lieben wie die Kinder.
a) Das Gegenteil leuchtet aus Folgendem ein: I. Jene müssen wir mehr lieben, denen wir Wohlthaten zu erweisen haben. Mehr Wohlthaten aber müssen wir den Kindern erweisen wie den Eltern, nach 2. Kor. 12.: „Die Kinder sollen nicht für die Eltern Schätze sammeln, sondern die Eltern für die Kinder.“ II. Die Gnade vollendet die Natur. Von Natur aber lieben die Eltern mehr die Kinder als sie von diesen geliebt werden. (8 Ethic. 12.) Also. III. Gott soll der Mensch durch die heilige Liebe ähnlich werden. Gott aber liebt mehr seine Kinder als Er von diesen geliebt wird. Also muß man die Kinder mehr lieben wie die Eltern. Auf der anderen Seite sagt Origenes zu Cant. 2. hom. 3.: „Zuerst muß Gott geliebt werden; dann die Eltern, dann die Kinder, endlich die Hausleute.“
b) Ich antworte; mit Rücksicht auf den Gegenstand muß der Vater mehr geliebt werden wie die Kinder. Denn der Vater als Princip der Erzeugung der Kinder ist Gott ähnlicher, der das Princip alles Seins ist. Mit Rücksicht auf den Grad der Stärke in der Liebe seitens des liebenden ist mehr zu lieben was mit dem liebenden mehr verbunden ist; und danach ist das Kind mehr zu lieben wie der Vater. (8 Ethic. 12.) Denn: 1. lieben die Eltern die Kinder wie einen Teil ihres Selbst. Der Vater nämlich gehört dem Kinde nicht zu, das Kind aber gehört dem Vater zu; und somit ist die Liebe zu den Kindern näher der Liebe zu sich selbst. 2. Es wissen die Eltern im höheren Grade, wer ihre Kinder seien wie umgekehrt. 3. Das Kind steht näher dem Vater wie gleichsam ein Teil desselben als umgekehrt, denn der Vater steht zum Kinde im Verhältnisse des Princips. 4. Die Eltern lieben ihre Kinder längere Zeit, nämlich gleich von der Geburt an; während die Kinder ihre Eltern erst nach einer gewissen Zeit zu lieben anfangen. Je länger aber die Liebe dauert, desto stärker ist sie, nach Ekkle. 9.: „Verlasse nicht einen alten Freund; der neue wird ihm nicht ähnlich sein.“
c) I. Dem Erzeuger als dem Princip gebührt Ehre und Gehorsam. Der Wirkung kommt es zu, viel mehr den Einfluß des Princips in sich aufzunehmen. Deshalb müssen die Kinder ihren Eltern mehr Ehre erweisen; und die Eltern schulden ihren Kindern die gebührende Obsorge. II. Auf Grund der innigeren Verbindung liebt der Vater von Natur aus mehr die Kinder. Kommt aber ein höheres Gut in Betracht wie die Erziehung z. B., so liebt von Natur aus das Kind mehr den Vater. III. Augustin sagt (äde doctr. christ. 32.): „Gott liebt uns zu unserem Nutzen und zu seiner Ehre.“ Weil also der Vater zu den Kindern ähnlich wie Gott die Beziehung eines Princips hat, so gebührt es dem Kinde, den Vater zu ehren; dem Vater, daß er für seine Kinder Sorge trage. Freilich ist das Kind im Falle der Notwendigkeit verpflichtet, auf Grund der empfangenen Wohlthaten für die Eltern Sorge zu tragen.
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