Vierter Artikel. Gott kann unmittelbar geliebt werden in diesem Leben.
a) Dies scheint nicht möglich. Denn: I. „Ungekanntes kann man nicht lieben.“ (Aug. 10. de Trin. 1 et 2.) „Gott aber sehen wir hier nur im Spiegel durch Rätsel“; also nicht unmittelbar. II. Gott lieben ist mehr wie Gott erkennen; denn „wer Gott anhängt ist ein Geist mit ihm.“ (1. Kor. 6.) Gott aber kann der Mensch nicht unmittelbar erkennen. Also kann er auch nicht das Größere, Ihn unmittelbar lieben. III. „Euere Sünden haben geschieden zwischen Gott und euch,“ heißt es bei Isai. 59. Die Sünde aber ist mehr im Willen wie in der Vernunft. Also kann der Mensch noch weniger Gott unmittelbar lieben wie Ihn unmittelbar erkennen. Auf der anderen Seite wird die Kenntnis in Rätseln, wie sie hier auf Erden statthat, leer gemacht im ewigen Heim. Die Liebe aber bleibt im Himmel, nach 1. Kor. 13.
b) Ich antworte; die Thätigkeit des Begehrens, da sie auf die Dinge selbst geht, wie sie außen sind, muß sich nach der Beschaffenheit des Seins dieser Dinge richten; während die Thätigkeit des Erkennens, wonach die Dinge im erkennenden sind, sich nach der Seinsweise des erkennenden richtet. Nun ist aber die Ordnung in den Dingen eine solche, daß Gott durch sich selbst erkennbar und Gegenstand der Liebe ist als die Wahrheit und die Güte dem Wesen nach, kraft deren erst Anderes erkennbar und erstrebbar wird. Mit Rücksicht auf uns aber, da unsere Kenntnis von den Sinnen beginnt, ist zuerst erkennbar was dem Sinne näher steht; und der letzte Abschluß unserer Kenntnis ist das von den Sinnen Entfernteste. Die Liebe also als Thätigkeit des Begehrens richtet sich, auch auf dem Pilgerwege, zuerst auf Gott und auf Grund dessen auf Anderes; und danach liebt die heilige Liebe zuerst Gott und erst vermittelst Gottes das Andere. Weil wir aber durch Anderes Gott erkennen, ist da das Umgekehrte der Fall; wir erkennen Gott durch die Wirkung oder durch Leugnung des Unvollkommenen und durch die Vervielfältigung und Erhebung alles Vollkommenen im Geschöpflichen.
c) I. Nicht die gleiche Ordnung ist in der Kenntnis und in der Liebe. Denn die Liebe ist der Abschluß der Kenntnis. Wo also die Kenntnis aufhört, wohin sie schließlich geführt hat; da, nämlich in der Sache selbst, welche durch eine andere gekannt wird, kann die Liebe unmittelbar beginnen. II. Die Liebe Gottes ist etwas Größeres wie die Kenntnis Gottes, zumal gemäß dem Pilgerwege; und deshalb wird letztere von der Liebe vorausgesetzt. Und weil die Kenntnis nicht ruht in den geschaffenen Dingen, sondern durch sie hindurch auf Anderes geht; so fängt da, wohin die Kenntnis geht, die Liebe an und von da an leitet sie sich ab, so daß ein gewisser Kreis entsteht. Die Kenntnis geht von den Kreaturen aus und geht auf Gott hin; die Liebe geht von Gott aus und macht so vom letzten Endzwecke her die Kreaturen liebwert.
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