Dritter Artikel. Niemand wird getilgt aus dem Buche des lebens von seiten des. göttlichen Vorherwissens.
a) Es scheint, daß überhaupt und nach keiner Seite hin jemand getilgt wird aus dem Buche des Lebens. Denn: I. Augustin sagt (20. de civ. Dei cap. 14.): „Das Vorherwissen Gottes, das nicht getäuscht werden kann, ist das Buch des Lebens.“ Dem Vorherwissen Gottes aber kann nichts entzogen werden und ebenso nicht dem Vorherbestimmen Gottes. Also kann niemand getilgt werden aus dem Buche des Lebens. II. Was in irgend einem Sein sich vorfindet, das findet sich daselbst nach der Art und Weise dieses Seins. Das Buch des Lebens aber ist ewig und unveränderlich. Also was darin ist, muß sich als unverrückbar darin finden. III. Das Tilgen steht im Gegensatze zum Einschreiben. Es kann aber niemand von neuem in das „Buch des Lebens“ eingeschrieben werden. Aiso ist auch eine Tilgung unmöglich. Auf der anderen Seite sagt der Psalm (68,29.): „Vertilgt mögen sie werden aus dem Buche des Lebens.“
b) Ich antworte, daß manche meinen, es könne wohl nach der objektiven Sachlage niemand getilgt werden aus dem „Buche des Lebens“; dies könne aber geschehen gemäß der Meinung der Menschen. Die Schrift hat ja die Gewohnheit, zu sagen, es geschehe etwas, wenn dieses bekannt wird. Demgemäß werde von manchen gesagt, sie seien im „Buche des Lebens“ eingeschrieben, insofern die Menschen dies meinen auf Grund der Gerechtigkeit, welche sie während dieser Zeit an ihnen sehen. Und sie werden dann „getilgt aus dem Buche des Lebens“, wann es erscheint in diesem Leben oder am letzten Tage, daß sie von der Gerechtigkeit abgefallen sind. Da jedoch das Nicht-Vertilgtwerden aus demBuche des Lebens zu den Belohnungen der Gerechten gehört nach apoc. 3, 5.: „Wer siegen wird, der wird mit weißen Gewänden bekleidet werden und ich werde ihn nicht vertilgen aus dem Buche des Lebens,“ und da, was den Heiligen verheißen wird, nicht nur nach der Meinung der Menschen besteht; — so darf man das Vertilgt- oder Nicht-Vertilgtwerden aus demBuche des Lebens nicht allein auf die Meinung der Menschen beziehen, sondern es muß dies auch der Wirklichen Sachlage entsprechen. Denn das „Buch des Lebens“ ist das Eingeschriebensein derer, welche zum ewigen Leben bestimmt werden. Zum ewigen Leben aber wird jemand vorherbestimmt: 1. infolge der göttlichen Vorherbestimmung; 2. infolge der Gnade. Wer nämlich im Stande der Gnabe sich befindet, ist dadurch allein schon würdig der ewigen Seligkeit. Während nun die erstgenannte Bestimmung oder Anordnung niemals ihrer Verwirklichung ermangelt, ist dies wohl mit der zweitgenannten der Fall; insoweit jemand nämlich als vorherbestimmt oder der ewigen Seligkeit würdig deshalb erachtet wird, weil er die Gnade hat. Denn von der Gnade fällt man bisweilen ab durch die Todsünde. Jene also, welche kraft der göttlichen Vorherbestimmung zu der Herrlichkeit Beziehung haben, sind ohne weitere Bedingung und Voraussetzung im „Buche des Lebens“ eingeschrieben; denn sie sind da enthalten als solche, welche das ewige Leben, soweit es in sich ist, haben werden. Jene aber, welche nur deshalb Beziehung und Hinordnung haben zum ewigen Leben, weil sie in sich die Gnade besitzen, sind nicht ohne weiteres, sondern unter einer Voraussetzung im „Buche des Lebens“ eingeschrieben; nämlich nicht als solche, welche das ewige Leben, soweit es an sich ist, haben werden, sondern als solche, die dasselbe in seiner Ursache, in der Gnade, unter dieser Voraussetzung also besitzen sollen. Diese können somit getilgt werden aus dem „Buche des Lebens“. Jedoch darf dieses Getilgtwerden nicht auf die Kenntnis Gottes sich richten und bezogen sein, als ob Gott etwas vorher wüßte und nachher nicht mehr es wüßte. Vielmehr muß das Getilgtwerden auf die gewußte Sache bezogen sein; weil nämlich Gott dies zum Gegenstande seines Wissens hat, daß jemand früher die Gnade in sich hatte und damit die positive Beziehung zum ewigen Leben; nachher aber diese positive Beziehung nicht mehr in sich hat, da er von der Gnade abgefallen ist. I. Der erste Einwurf geht davon aus, daß im Vorherwissen Gottes etwas getilgt werde; somit Gott etwas wüßte, was Er nachher nicht mehr weiß. Ein solches Getilgtwerden aus dem „Buche des Lebens“ giebt es allerdings nicht. II. Die Dinge sind wohl, soweit sie in Gott sind, unveränderlich; im eigenen Sein aber sind sie veränderlich; zum letzteren gehört das Getilgt«erden aus dem „Buche des Lebens“. III. In derselben Weise wie von jemandem ausgesagt wird, er werde getilgt aus dem „Buche des Lebens“, kann auch ausgesagt werden, er werde von neuem hineingeschrieben; sei es nach der Meinung der Menschen sei es weil er von neuem das Gnadenleben besitzt und mit demselben die positive Anwartschaft auf das ewige Leben. Und dies ist auch in der Kenntnis Gottes enthalten; wenn auch nicht so, daß es von neuem ihr zuwüchse.
