Siebenter Ärtikel. Die Klugheit giebt für die moralischen Tugenden die rechte Mitte an.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Die rechte Mitte befolgen ist Zweck für die moralischen Tugenden. Die Klugheit aber geht nur auf das Zweckdienliche ein. II. „In der Mitte sein“ kommt der moralischen Tugend ihrem inneren Wesen nach zu, also an und für sich. Das innere Wesen ist aber in jedem Dinge unabhängig von den anderen Dingen. III. Die Klugheit wirkt gemäß der Vernunft. Nach der rechten Mitte aber strebt die moralische Tugend von Natur. Denn Cicero sagt: „Die Tugend ist ein Zustand in der Weise der Natur der Vernunft angemessen.“ Auf der anderen Seite steht die Definition der moralischen Tugend, wie sie Art. 5, ad 1. gesetzt worden aus Aristoteles 2 Ethic. 6.
b) Ich antworte, dieses selbst, der rechten Vernunft entsprechen, sei der Zweck der moralischen Tugend. Denn die Mäßigkeit z. B. will, daß der Mensch nicht wegen sinnlicher Freuden von der Richtschnur der Vernunft sich entferne; und ebenso die Stärke, daß ihn vom Wege der Vernunft weder Furcht noch Verwegenheit ablenke. Dies also ist der Zweck, den von Natur aus jede Tugend verfolgt, der Vernunft gemäß zu sein. Wie aber nun im einzelnen bei den verschiedenen Thätigkeiten diese rechte Mitte der Vernunft erreicht wird, das zu bestimmen, ist Sache der Klugheit, welche das Zweckdienliche rechtmäßig ordnet.
c) I. Ist damit beantwortet. II. Die im Bereiche der Natur einwirkende Ursache macht wohl, daß die Form dem Stoffe eingeprägt werde; aber sie macht nicht, daß der Form das wesentlich zukommt, was ihr einmal innewohnt. So macht nun die Klugheit nicht, daß der Tugend es wesentlich zukommt, der Vernunft gemäß zu streben, also die rechte Mitte zu suchen; sondern sie bildet diese Mitte in den einzelnen Leidenschaften und Thätigkeiten. III. In der Weise der Natur strebt die moralische Tugend nach der rechten Mitte der Vernunft. Weil aber diese Mitte als Mitte nicht in der gleichen Weise in Allem sich findet, genügt die Hinneigung der Natur, welche immer in der gleichen Weise da ist, nicht; sondern es ist die Klugheit erfordert.
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