Achter Artikel. Vorschreiben ist die hauptsächliche Thätigkeit der Klugheit.
a) Dem steht entgegen: I. Man schreibt jenes Gute vor, was zu geschehen hat. Augustin aber nennt (14. de Trin. 9.) als Thätigkeit der Klugheit „Vorkehrungen treffen gegen hinterlistige Anschläge.“ Also. II. Das Beraten nennt Aristoteles die hauptsächliche Thätigkeit der Klugheit. Vorschreiben aber ist nicht Beraten. III. Vorschreiben ist Sache des Willens, dem eigen zugehört die Richtung auf den Zweck, wonach er ja alle anderen Vermögen in Thätigkeit setzt. Die Klugheit aber ist in der Vernunft und nicht im Willen; also schreibt sie nicht vor. Auf der anderen Seite fagt Aristoteles: „Die Klugheit schreibt vor.“ (6 Ethic. 10.)
b) Ich antworte, die Klugheit sei die rechte Richtschnur für die menschliche Thätigkeit. Um solche Richtschnur zu sein, sind nun drei Thätigkeiten erforderlich: 1. Das Beraten, was zum Auffinden der Richtschnur oder Regel gehört; — 2. das Urteilen über das Gefundene, und das besorgt die Vernunft als beschauliche; — 3. das Vorschreiben oder das Anwenden des Gefundenen und Beurteilten auf das Werk. Und weil diese Thätigkeit dem Zwecke der praktisch-thätigen Vernunft näher steht, so ist sie die hauptsächliche Thätigkeit der thätig wirksamen Vernunft und somit der Klugheit. Dies wird zudem dadurch angezeigt, daß die Vollendung der Kunst wohl besteht im Urteilen und nicht im Vorschreiben. Denn höher steht ein Künstler, der mit Wissen und Willen einen Fehler macht in seiner Kunst, also dessen Urteil unversehrt ist; als jener, der gegen seinen Willen fehlt, also im Urteilen mangelhaft ist. Bei der Klugheit aber ist das Umgekehrte der Fall, nach 6 Ethic. 5. Derjenige ist weniger klug, der mit Wissen und Willen fehlt, denn er geht fehl in der hauptsächlichen Thätigkeit der Klugheit, im Vorschreiben; als jener, welcher gegen seinen Willen in etwas fehlt.
c) I. Auf Gutes und Böses erstreckt sich die Thätigkeit der Klugheit. Auguftin nennt die Vorsicht vor Hinterlist als Thätigkeit der Klugheit hier auf Erden, weil so etwas im Himmel nicht bleibt. II. Das gute Beraten dient dazu, um auf das beabsichtigte Wirken angewandt zu werden. Also ist das Vorschreiben die letzte und hauptsächliche Thätigkeit der Klugheit; es steht da wie der Zweck für die zwei anderen. III. Bewegen schlechthin geht den Willen an. Vorschreiben will sagen ein Bewegen in Verbindung mit Ordnen; und das gehört der Vernunft zu. (I., II. Kap. 17, Art. 1.)