Vierter Artikel. Die Unüberlegtheit ist eine eigene besondere Sünde und in der Unklugheit enthalten.
a) Dem widerspricht: I. Das Gesetz Gottes führt zu keiner Sünde an, denn es ist „fleckenlos“. (Ps. 18.) Es leitet aber zur Unüberlegtheit an, nach Matth. 10.: „Denket nicht nach, wie oder was ihr sprechen sollet.“ Also ist die Unüberlegtheit oder Gedankenlosigkeit keine Sünde. II. Wer sich berät muß Vieles in Erwägung ziehen. Der Mangel des Beratens aber hat zur Folge die Überstürzung. Also ist letztere im Mangel am Beraten enthalten und somit in der Unüberlegtheit; und ist letztere demnach keine besondere Sünde. III. „Beraten“, „Urteilen“, „Vorschreiben“ sind die Akte, welche von der praktischen Vernunft aus für die Klugheit erforderlich sind. Das Überlegen aber als eine Eigenheit der spekulativen Vernunft geht allen diesen Thätigkeiten vorher. Also ist Unüberlegtheit keine besondere Sünde, die in der Unklugheit enthalten wäre. Auf der anderen Seite heißt es Prov. 4.: „Deine Augen sollen das Rechte sehen; und deine Wimpern mögen vorhergehen deinen Schritten;“ was wegen der Klugheit gesagt wird. Das Gegenteil davon thut der unüberlegte. Also ist die Unüberlegtheit eine Art Unklugheit.
b) Ich antworte, Überlegen besage eine Thätigkeit der Vernunft, welche die Wahrheit einer Sache anschaut. Denn wie das Untersuchen zur Kraft zu schließen gehört, so gehört das Urteilen dem einfach schauenden oder auffassenden Verständnisse an. Deshalb urteilt die Vernunft im Bereiche des Spekulativen, insoweit sie das Vorliegende in die ersten Principien auflöst und diesen gemäß dann durch das Urteil die Wahrheit betreffs des Untersuchten erkennt. Daher schließt sich das Überlegen in erster Linie an das Urteil an; und gehört der Mangel im Urteilen dem Fehler der Unüberlegtheit zu, insoweit jemand beim Urteilen das vernachlässigt oder verachtet, woraus ein rechtes Urteil abzuleiten ist. Offenbar also ist die Unüberlegtheit eine Sünde.
c) I. Der Herr verbietet nicht zu erwägen, sobald die Gelegenheit dazu geboten ist. Aber Er will seinen Jüngern Vertrauen einflößen; damit sie, auch wenn die Gelegenheit für das Erwägen fehlt, sei es auf Grund ihrer Unerfahrenheit sei es weil die Sache plötzlich kommt, auf Gott ihre Zuversicht setzen: „Denn wenn wir nicht wissen, was zu thun ist, bleibt uns nur dies übrig, daß wir unsere Augen auf Dich, unseren Gott, richten.“ (2. Paral. 20.) Sonst versucht der Mensch Gott, wenn er, ohne das Seinige zu thun, auf den göttlichen Beistand baut. II. Alles, was im Beraten erwogen wird, hat Beziehung zum Urteilen und wird im Urteilen vollendet. Also ist die Unüberlegtheit zumal im Gegensatze zum rechten Urteile. III. Unüberlegtheit hat hier Bezug auf die menschliche Thätigkeit, wo mehr zu erwägen erübrigt wie im reinen Wissen; denn diese Thätigkeit vollzieht sich nur unter einzelnen besonderen Umständen.
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