Fünfter Artikel. Niemand darf sich selber, aus eigener Autorität, töten.
a) Dies ist erlaubt. Denn: I. Der Totschlag ist Sünde, weil er zur Gerechtigkeit im Gegensatze steht. Niemand aber kann sich selber Unrecht thun, nach 5 Ethic. 6. II. Kraft öffentlicher Autorität kann man Verbrecher töten. Der mit der öffentlichen Autorität bekleidete aber ist bisweilen Verbrecher. Also kann er sich selber töten. III. Ein kleineres Übel kann man freiwillig übernehmen, um ein größeres zu meiden; wie jemand sich ein faules Glied abschneiden kann, um den Körper zu retten. Oft aber vermeidet man mit dem Selbstmorde ein größeres Übel wie ein elendes Leben, die Schande einer Sünde. Also. IV. Samson hat sich selbst getötet (Richt. 16.) und zählt doch unter die Heiligen. (Hebr. 11.) V. 2. Makk. 14. wird ein gewisser Razias erwähnt, der sich selbst getötet hat; „denn er zog vor, in edler Weise zu sterben als den Sündern Unterthan zu werden.“ Was aber edel ist, das ist erlaubt. Auf der anderen Seite sagt Augustin (1. de civ. Dei 20.): „Vom Menschen gilt es: Du sollst nicht töten; nicht einen anderen, also auch nicht dich selbst. Denn einen Menschen tötet wer sich tötet.“
b) Ich antworte, sich selbst töten sei durchaus unerlaubt und zwar aus drei Gründen: 1. Jegliches Ding liebt sich selbst und somit die Erhaltung seines Seins, es widersteht von Natur den seinem Sein verderblichen Einflüssen. Also ist es gegen die natürliche Neigung und gegen die heilige Selbstliebe, sich selbst zu töten; und ist dies Letztere als gegen das Naturgesetz und gegen die Liebe gerichtet immer schwere Sünde. 2. Jeder Teil gehört zum Ganzen. Der Selbstmörder also thut ein Unrecht dem Gemeinwesen an. (5 Ethic. ult.) 3. Das Leben ist ein Geschenk Gottes und Gottes Macht unterworfen, der da tötet und lebendig macht. Also beleidigt der Selbstmörder Gott, wie wer den Knecht eines anderen tötet, ein Unrecht dem Herrn anthut, dem der Knecht angehört; und wie da sündigt, der ein Urteil sich anmaßt über eine Sache, über welche er nichts zu sagen hat. Gott allein gehört das Urteil über Leben und Tod an: „Ich werde töten und ich werde lebendig machen.“ (Deut. 32.)
c) I. Mit Rücksicht auf die eigene Person ist der Selbstmord eine Sünde gegen die Selbstliebe; mit Rücksicht auf das Gemeinwesen und auf Gott ist er der Gerechtigkeit entgegengesetzt. II. Keiner ist Richter über sich selbst. Die Tötung eines Menschen aber, soll sie rechtmäßig sein, muß sich auf ein Urteil gründen. Es kann also ein solcher Verbrecher, der mit öffentlicher Autorität bekleidet ist, sich dem Urteile anderer überlassen. III. Der Mensch ist Herr seiner selbst kraft seiner Selbstbestimmung. Erlaubterweise also kann der Mensch über sich bestimmen mit Rücksicht auf das zu diesem Leben Gehörige, was der Leitung des Menschen unterliegt. Der Übergang aber von diesem Leben zu einem glücklicheren ist nicht der Bestimmung des Menschen, überlassen, sondern der Macht Gottes. Also darf der Mensch, um glücklicher zu leben, nicht sich selbst töten; und ebenso nicht, damit er welches Elend auch immer des gegenwärtigen Lebens vermeide, denn das letzte und größte aller menschlichen Übel ist der Tod, nach Aristoteles. (3 Ethic. 6.) Sich selbst töten, um andere Übel zu vermeiden, heißt somit ebensoviel wie ein größeres Übel auf sich nehmen, um ein geringeres zu vermeiden. Auch wegen einer begangenen Sünde darf man sich nicht töten; denn man nimmt sich dadurch die notwendig erforderliche Zeit „um Buße zu thun“; und einen Sünder darf man nicht töten ohne vorgängiges Urteil der öffentlichen Autorität. Ahnlich darf sich ein Weib nicht töten, um nicht von einem Manne verletzt zu werden. Denn sie darf nicht das größte Verbrechen begehen, damit das minder große Verbrechen eines anderen vermieden werde; es ist ja auch eine solche Überwältigung des Weibes keine Sünde, wenn die Zustimmung des Geistes nicht vorhanden ist, wie die heilige Lucia gesagt hat. Eine geringere Sünde aber ist Ehebruch oder Unkeuschheit wie Selbstmord; denn dadurch schadet man im höchsten Grade der eigenen Person, welcher die größte Liebe gebührt und man entzieht sich die zur Sühnung erforderliche Zeit. Auch aus Furcht in die Sünde einzuwilligen, darf man sich nicht töten; denn man soll nichts Übles thun, um etwas Gutes zu erreichen oder um andere Übel zu meiden, zumal die geringer und weniger gewiß sind; — ist es doch ungewiß, ob jemand in Zukunft in eine Sünde einwilligen wird, da Gott mächtig genug ist, in jeder Versuchung den Menschen von Sünde freizuhalten.IV. Nach Augustin (1. de civ. Dei 21.) „wird auch Samson nicht anders entschuldigt, daß er sich selbst mit den Feinden umgebracht, als weil dies der heilige Geist ihm innerlich geboten hatte, der durch ihn Wunder that.“ Und den gleichen Grund giebt Augustin an rücksichtlich mancher heiliger Frauen, welche zur Zeit der Verfolgung sich selbst töteten und deren Andenken die Kirche festlich begeht.V. Zur Tugend der Stärke gehört es, daß jemand um der Tugend willen oder um eine Sünde zu vermeiden, den Tod zu leiden nicht scheut. Daß aber, um zeitliche übel zu vermeiden, die an sich nur immer den Charakter der Strafe haben, sich jemand den Tod giebt; das hat wohl einen gewissen äußeren Schein der Stärke und des Seelenadels (weshalb, wie der erwähnte Razias, einige den Tod sich gaben, meinend, damit etwas Kraftvolles zu thun); es ist aber thatsächlich keine Stärke und kein Seelenadel, sondern vielmehr eine gewisse Weichlichkeit des Geistes, der es nicht tragen will, daß ihn Übel überkommen. (Vgl. 3 Ethic. 8: Aug. 1. de civ. Dei 23.)