Erster Artikel. Niemand kann Richter sein über jemanden, der seiner Gerichtsbarkeit nicht unterworfen ist.
a) Dagegen spricht: I. Nach Daniel 13. hat dieser Prophet die Ältesten, welche nicht zu seiner Gerichtsbarkeit gehörten, verurteilt; oder vielmehr waren diese Ältesten Richter im Volke. II. Christus war niemandem Unterthan, war Er doch „der König der Könige und der Herrscher der Herrschenden.“ Er hat sich aber von einem Menschen verurteilen lassen. III. Nach den Gesetzen ist der Ort des Vergehens maßgebend für die Kompetenz des Gerichtshofes. Manchmal aber ist jener, der sich vergangen hat, nicht Unterthan demjenigen, zu dessen Gerichtsbarkeit der betreffende Ort gehört; wie z. B. wenn er einer anderen Diöcese angehört oder exempt ist. Auf der anderen Seite sagt Gregor zu Deut. 83. (Si intraveris segetem) (ep. 31., regist, lib. 12.): „Die Sichel des Urteils kannst du nicht in jene Saat senken, welche einem anderen anvertraut ist.“
b) Ich antworte, der Ausspruch des Richters sei wie ein besonderes Gesetz rücksichtlich einer besonderen Thatsache. Wie also das allgemeine Gesetz, so muß auch der Ausspruch des Richters zwingende Gewalt haben, durch welche jeder von beiden Teilen angehalten werden kann, dem Ausspruche des Richters sich zu fügen; sonst wäre letzterer durchaus unwirksam. Zwingende Gewalt aber hat erlaubterweise niemand in einem Gemeinwesen, der nicht mit der öffentlichen Autorität bekleidet ist; und solche mit öffentlicher Autorität bekleidete tragen gegenüber den anderen den Charakter von Oberen. Also kann niemand einen anderen vor seinen Richterstuhl ziehen, der nicht in irgend einer Weise ihm untergeben ist, sei es auf Grund eines regelrechten Auftrages — kommissarisch — sei es auf Grund der gewöhnlichen, ordnungsgemäßen Autorität.
c) I. Daniel empfing solche Gewalt durch göttlichen Antrieb; weshalb an der nämlichen Stelle es heißt: „Der Herr erweckte den Geist eines Jünglings.“ II. In den menschlichen Dingen kann jemand freiwillig sich einem anderen als seinem Oberen unterwerfen; wie, wenn man Schiedsrichter wählt, man sich deren Entscheidung unterwerfen muß, trotzdem die Schiedsrichter an sich keine zwingende Gewalt haben. So hat sich Christus freiwillig dem menschlichen Urteile unterworfen; wie sich auch Papst Leo IV. dem Urteile des Kaisers unterwarf. III. Der Bischof z. B., in dessen Diöcese man sich verfehlt, wird der Obere des betreffenden, auch wenn dieser exempt wäre; er müßte sich denn verfehlen in einer exempten, d. h. von der bischöflichen Gerichtsbarkeit ausgenommenen Sache, wie z. B. in der Verwaltung der Güter eines exempten Klosters.
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