Vierter Artikel. Falsches Zeugnis ist immer Todsünde.
a) Dem widerspricht: I. Die Unkenntnis der Sachlage macht manchmal, daß falsches Zeugnis abgelegt wird. Eine solche Unkenntnis aber spricht von der Schuld der Todsünde frei. II. Eine Notlüge, die niemandem schadet, manchem aber nützt, ist keine Todsünde. Eine solche Notlüge aber ist bisweilen das falsche Zeugnis, womit man ein ungerechtes Urteil vermeiden will. III. Der Zeuge muß einen Eid leisten, daß er die Wahrheit sage. Dies wäre aber überflüssig, wenn das falsche Zeugnis selber schon Todsünde sein würde. Auf der anderen Seite heißt es Prov. 19.: „Der falsche Zeuge wird nicht ungestraft sein.“
b) Ich antworte, ein falsches Zeugnis habe eine dreifache Häßlichkeit: 1. weil es immer einen Meineid enthält, denn nur, nachdem sie geschworen, werden die Zeugen zum Aussagen zugelassen; und danach ist es immer Todsünde; — 2. weil es die Gerechtigkeit verletzt; so ist es in seiner „Art“ eine Todsünde wie jede Ungerechtigkeit und deshalb heißt es Exod. 20.: „Du sollst nicht gegen deinen Nächsten falsches Zeugnis geben,“ d. h. es wird dadurch einem anderen das was ihm gebührt genommen; — 3. weil alle Lüge Sünde ist; und danach wäre falsches Zeugnis nicht immer gerade schwere Sünde.
c) I. Was der Mensch nicht gewiß weiß, muß er als zweifelhaft aussagen. Wenn jedoch auf Grund eines schwachen Gedächtnisses der Mensch meint, gewiß zu sein, und er gebührend nachdenkt, so thut er kein falsches Zeugnis, wenn auch das, was er sagt, falsch ist. Denn ohne seine Absicht sagt er dann Falsches. II. Ein ungerechtes Urteil ist kein Urteil. Ein falsches Zeugnis also, vorgetragen in einem ungerechten Prozesse, um die Ungerechtigkeit zu hindern, ist vom Gerichte oder dem Urteilsspruche aus betrachtet keine Todsünde; wenn nicht auf Grund des geleisteten Eides. III. Die Menschen schrecken mehr vor Sünden zurück, die gegen Gottes Majestät sich richten, unter denen der Meineid sich findet; wie vor bloßen Sünden gegen den Nächsten. Deshalb wird, um größere Gewißheit zu erhalten, beim Zeugnisse der Eid vorgeschrieben.
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