Vierter Artikel. Gelübde sind heilsam.
a) Dem steht entgegen: I. Es ist nicht heilsam, sich der von Gott geschenkten Güter zu berauben. Die Freiheit aber ist eines der größten von Gott erhaltenen Gaben. Man soll sich also überflüssigerweise keine Verpflichtung auflegen. II. Man soll sich nicht unnötigen Gefahren aussetzen, wie sie für den gegebenen Fall Augustin (ep. 127.) schildert: „Du hast bereits gelobt? Also hast du dich bereits verpflichtet; du kannst nicht mehr anders. Thust du nicht, was du gelobt; so bist du nicht mehr in derselben Lage, in welcher du gewesen wärest, wenn du nicht gelobt hättest. Geringer wärest du dann gewesen, aber nicht schlechter. Jetzt aber bist du um so viel elender, wenn du Gott untreu bist; wie du seliger gewesen wärest, wenn du das Gelobte gethan hättest.“ Es ist also nicht heilsam, etwas zu geloben. III. „Ahmet mir nach, wie ich Christo nachahme,“ heißt es 1. Kor. 4. Man liest aber nicht, daß Christus oder die Apostel Gelübde gemacht haben. Auf der anderen Seite sagt der Psalmist (Ps. 75.): „Machet Gelübde und erfüllet sie vor dem Herrn euerem Gott.“
b) Ich antworte, dem Menschen gegenüber werde etwas versprochen wegen dessen Nutzen, damit er sicher sei und sich darauf verlassen könne,wir würden das Betreffende ihm leisten. Gott aber versprechen wir zu unserem eigenen Nutzen. Deshalb sagt Augustin I. c.: „In seiner Güte fordert Er das Ihm Gelobte, nicht weil Er dessen bedürfte; nichts wächst Ihm zu aus dem, was wir Ihm schulden. Aber die Ihm etwas schulden, die läßt Er wachsen in allem Guten. Was Ihm gegeben wird, das wird hinzugefügt zu dem, was Er uns entgilt.“ Da wir also Gott etwas geloben zu eigenem Nutzen, damit nämlich unser Wille unverrückbar fest werde in dem, was zu thun heilsam ist; deshalb ist es nützlich, etwas zu geloben
c) I. „Nicht sündigen können“ vermindert nicht die Freiheit. Also die Befestigung im Guten, wie solche in Gott und in den Seligen unwandelbar besteht, ist ebenso keine Beschränkung der Freiheit. Vielmehr hat das Gelübde eine gewisse Ähnlichkeit mit dem im Guten gefestigten Willen der Seligen: „Glückselige Notwendigkeit,“ ruft deshalb Augustin (l. c.) aus, „die uns zum Besseren antreibt.“ II. Ist die betreffende Thatsache selber die Quelle von Gefahr, so ist sie nicht von Nutzen; wie wenn jemand auf einer gebrechlichen Brücke über den Fluß geht. Ist die Gefahr aber nur insoweit vorhanden als man von dem Gewollten abweicht oder abfällt, wie wenn man ein Pferd besteigt mit der Gefahr, herunterzufallen; so hört damit das Betreffende nicht auf, von Nutzen zu sein; sonst müßte man alles Gute aufgeben, da mit Allem die Gefahr verbunden ist, davon abzufallen. Deshalb heißt es Ekkli. 11.: „Wer den Wind beobachtet, säet nicht; und wer vor den Wolken besorgt ist, wird niemals ernten.“ Die Gefahr aber droht dem gelobenden nicht aus dem Gelübde selber, sondern aus seiner Sünde, wenn er dasselbe nicht hält. Deshalb sagt Augustin (l. c.): „Bereue nicht dies, daß du gelobt hast; freue dich vielmehr, daß dir nicht mehr das freisteht, was nur zu deinem Schaden dir freigestanden hätte.“ III. Christus durfte nichts geloben; denn Er war Gott und als Mensch war Er auf Erden im Zustande der Seligen, also befestigt im Guten. Was in der Person Christi der Psalmist sagt (Ps. 21.): „Meine Gelübde werde ich erfüllen vor denen, die Gott fürchten,“ gilt vom Leibe Christi, d. h. von den Gläubigen. Die Apostel haben das Gelübde der Vollkommenheit gemacht, als sie sich entschlossen, Christo nachzufolgen.
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