Dritter Artikel. Jedem Wohlthäter ist der Mensch zur Dankbarkeit verpflichtet.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Es kann jemand ebensogut sich selber schaden wie sich selber wohlthun; nach Ekkli. 14.: „Wer sich selber verderblich ist, für welchen anderen wird er gut sein.“ Man kann aber nicht sich selber danken. II. Manche Wohlthaten werden mit Trauer oder unter Schimpf und Schande erwiesen. Dafür aber braucht man nicht zu danken. III. Bisweilen erweist man Wohlthaten zu seinem eigenen Nutzen; und daraus folgt das Nämliche. IV. Der Knecht erweist sich manchmal wohlthätig dem Herrn gegenüber. Dafür hat dieser aber nicht zu danken; denn seine, des Knechtes Thätigkeit gehört dem Herrn. V. Zuweilen ist der Wohlthäter im höchsten Grade glücklich. Also ist es unnütz, ihm etwas aus Dankbarkeit zu vergelten. Bisweilen verkehrt er sich von der Tugend aus zum Laster, so daß man ihm anständigerweise nichts vergelten kann. Oder auch der Empfänger der Wohlthat ist zu arm, um seine Dankbarkeit an den Tag legen zu können. Also. VI. Manchmal wäre es dem Wohlthäter unnütz oder schädlich, wenn der betreffende von ihm begünstigte seine Dankbarkeit beweisen wollte.
b) Ich antworte, jede Wirkung wende sich mit Naturkraft zu ihrer Ursache. Deshalb sagt Dionysius (l. de div. nom.): „Gott als die Ursache von Allem kehrt Alles zu Sich.“ Denn es muß die Wirkung immer dem Zwecke des wirkenden angemessen sein. Offenbar nun steht der Wohlthäter zum begünstigten im Verhältnisse wie die Ursache zur Wirkung, soweit nämlich der Bereich der Wohlthat in Betracht kommt. Danach erfordert es die Ordnung der Natur, daß jener, der eine Wohlthat empfangen hat durch die Erkenntlichkeit, welche in der Dankbarkeit liegt, je nach der Seinsbeschaffenheit eines jeden, sich zum Wohlthäter hinwende. Und somit gebührt dem Wohlthäter, wie dies früher vom Vater gesagt worden, von seiten des begünstigten Ehre und Hochachtung, weil der Wohlthäter am Charakter des Princips teilnimmt; kommt aber der Wohlthäter in Not, so gebührt ihm auf Grund dessen Hilfe und Beistand.
c) I. „Niemand ist freigebig, wer sich selbst giebt; niemand milde, der sich selber verzeiht; niemand barmherzig, der mit seinem eigenen Elende Mitleid hat. Niemand giebt sich selber eine Wohlthat, sondern er gehorcht damit seiner Natur, die das Schädliche von sich abwehrt, das Nützliche erstrebt;“ sagt Seneca. (5. de benefic. 9.) Also Dankbarkeit besteht nicht im eigentlichen Sinne gegenüber der eigenen Person, sondern höchstens im metaphorischen; wie es ja auch im letzteren Sinne eine Gerechtigkeit giebt gegenüber sich selbst. (5 Ethic. ult.) II. Ein edles Herz sieht mehr auf das Gute wie auf das Schlechte. Wer also seine Wohlthat nicht in der gebührenden Weise giebt, dem muß der betreffende begünstigte ebenfalls dankbar sein; freilich in minderem Grade, weil ja auch die Wohlthat eine mindere ist, nach Seneca (2. de benefic. 6.): „Viel thut, wer schnell giebt; Zögern nimmt viel fort.“ III. Seneca schreibt (6. de benefic. 12.): „Viel liegt daran, ob jemand eine Wohlthat gewährt unsertwegen oder seinetwegen. Wer einzig auf sich selber sieht und uns nur nützt, weil er anders sich nicht selbst nützen kann, der ist jenem gleich, wie mir scheint, der seinem Vieh Futter giebt … . Wenn er mich zum Teilnehmer an einem Geschäfte zugelassen und dabei an zwei gedacht hat, so bin ich undankbar und nicht bloß ungerecht, wenn ich mich nicht darüber freue, daß ihm das Nämliche genützt hat, was mir nützlich war. Bosheit im höchsten Grade ist es, das nur eine Wohlthat zu nennen, was dem Spender einen Nachteil bringt.“ IV. 5. de benefic. 21.: „Solange der Knecht thut, was man von einem Knechte zu verlangen pflegt, ist dies Dienst; wo er mehr thut als er notwendig hat, ist dies eine Wohlthat. Denn wo mehr die Hinneigung eines Freundes besteht, da hört der Name Dienst auf.“ Dem Knechte also, der über seine Schuldigkeit hinaus thut, muß der Herr dankbar sein. V. Die Dankbarkeit besteht wie die Wohlthat mehr in der inneren Bereitwilligkeit; also kann auch der arme dankbar sein, wenn er das thut, was in seinen Kräften steht. Deshalb sagt Seneca (2. de benefic. 22.): „Wer eine Wohlthat mit dankbarem Herzen annimmt, hat zuerst schon damit seine Erkenntlichkeit gezeigt. Und daß wir mit dankbarem Herzen die Wohlthat aufgenommen, das zeigen wir an, wenn wir es nicht nur vor dem Spender, sondern auch vor anderen beteuern.“ Also kann man immer durch Ehrfurcht und Hochachtung auch dem im höchsten Grade glücklichen seine Dankbarkeit beweisen. Deshalb heißt es 8 Ethic. ult.: „Dem hochstehenden muß man als Erkenntlichkeit Ehrfurcht beweisen, dem bedürftigen aber Beistand leisten.“ Und Seneca (6. de benefic. 29.): „Auch den glücklichen können wir in Manchem uns erkenntlich erweisen: durch treuen Rat, durch angenehmen Verkehr, durch beharrende Ehrfurcht ohne Schmeichelei.“ Wir dürfen somit unseren Wohltätern kein Elend wünschen, um dadurch Gelegenheit zu bekommen, damit wir ihnen unsere Dankbarkeit beweisen: „Wenn du das demjenigen wünschen würdest, von dem du keine Wohlthat empfangen, so wäre der Wunsch ein Unmenschlicher; um wie viel unmenschlicher müßte er sein, wenn du dies einem Wohlthäter wünschen solltest.“ Ist der betreffende Wohlthäter lasterhaft geworden, so muß der von ihm begünstigte sein Möglichstes thun, ihn wieder der Tugend zurückzugeben. Ist er unheilbar in seiner Bosheit, so muß der begünstigte die Wohlthat immer dankbar im Gedächtnisse behalten. (9 Ethic. 3.) VI. Soweit ein höherer Nutzen für den Wohlthäter erscheint, muß der dankbare seine Erkenntlichkeit beweisen; denn die Dankbarkeit hängt zumal vom Herzen ab. Gereicht das, was der dankbare gethan, später zum Nachteile des Wohlthäters wegen dessen Nachlässigkeit, so hat der dankbare keine Schuld: „Leisten muß ich es; nicht nachdem ich es geleistet, es behüten und bewahren.“ (7. de benefic. 19.)
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