Zweiter Artikel. Die Freigebigkeit hat das Geld zum Gegenstande.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Die moralischen Tugenden beschäftigen sich mit den Thätigkeiten oder den Leidenschaften. Die Gerechtigkeit nun geht auf die Thätigkeiten. Also hat die Freigebigkeit zum Gegenstande die Leidenschaften, nicht das Geld. II. Sache der Freigebigkeit ist der Gebrauch beliebigen Reichtums. Der auf die Natur gegründete Reichtum aber ist wahrer wie der auf Geldbesitz beruhende. Also. III. Die außen bestehenden Dinge sind Gegenstand der Tausch- und der zuteilenden Gerechtigkeit. Also sind sie nicht Gegenstand der Freigebigkeit. Auf der anderen Seite schreibt Aristoteles (4 Ethic. 1.): „Die Freigebigkeit ist gewissermaßen die rechte Mitte in Geldsachen.“
b) Ich antworte, der freigebige sei nach 4 Ethic. 1. geneigt, zu spenden und auszugeben. Er wird deshalb auch als weitherzig bezeichnet; denn was weit oder breit ist, läßt vielmehr ausfließen als daß es zuhält. Und dasselbe besagt der Name „freigebig“. Denn wer etwas vom Seinigen ausgiebt, der macht sich gleichsam von dessen Behütung und Verfügung frei und zeigt, daß sein Herz dadurch nicht beengt oder beschränkt werde. Was aber ausgegeben wird vom einen zu gunsten des anderen, das sind die besessenen Güter, die mit dem Namen „Geld“ bezeichnet werden. Also ist die eigenste Materie der Freigebigkeit das Geld.
c) I. Wie oben gesagt worden, wird die Freigebigkeit nicht so sehr nach dem Umfange des Gegebenen, wie nach dem guten Willen des gebenden bemessen. Dieser gute Wille oder die Hinneigung des gebenden aber bestimmt sich nach den Leidenschaften der Liebe und der Begierlichkeit; somit also der Freude oder der Trauer bei dem, was man giebt. Demgemäß bilden nun den unmittelbaren Gegenstand oder die direkte Materie der Freigebigkeit die inneren Leidenschaften als zu regelnde; für diese Leidenschaften selbst aber ist das Geld der äußere Gegenstand. II. Nach Augustin (traot. 1. de Diversis) „wird Alles, was die Menschen auf Erden besitzen und wovon sie Herr und Meister sind, Geld genannt“ (wonach pecunia von pecus dem Viehbestande kommt). Und Aristoteles erklärt (I. c.): „Wir nennen Geld Alles das, dessen Wert durch die Münze gemessen wird.“ III. Die Gerechtigkeit stellt das Gleichmaß in den außen befindlichen Dingen her; sie regelt aber nicht im eigentlichen Sinne die inneren Leidenschaften. Anders also ist das Geld Gegenstand der Gerechtigkeit und anders Gegenstand der Freigebigkeit.
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