Hundertachtundzwanzigstes Kapitel. Über die Teile der Stärke und zwar zuvörderst welche es sind.
Über die Teile der Stärke und zwar zuvörderst welche es sind.
a) Es scheint, man zähle die Teile der Stärke unzulässigerweise auf. Denn: I. Cicero nennt als solche (2. de Inv.): „Die Prachtliebe, Zuversicht, Geduld, Beharrlichkeit.“ Die Prachtliebe aber gehört zur Freigebigkeit, die sich auch mit Geldausgaben beschäftigt und weil es „notwendig ist, daß der prachtliebende freigebig sei.“ (4 Ethic. 2.) Und die Freigebigkeit ist ein Teil der Gerechtigkeit. II. Zuversicht ist nichts Anderes wie Hoffnung, die kein Teil einer Tugend, sondern selbst Tugend ist. III. Die Stärke richtet sich auf die Gefahren. Damit haben aber die Prachtliebe und Zuversicht nichts zu thun. IV. Die Geduld ist nach Cicero das Ertragen des Schwierigen; also dasselbe wie die Stärke. V. Die Beharrlichkeit wird zu jeder Tugend erfordert nach Matth. 24, 13.: „Wer bis ans Ende verharrt, wird selig sein;“ also ist sie keine besondere Tugend. VI. Macrobius (1. somn. Scip. 7.) zählt als Teile der Stärke auf: „Großherzigkeit, Zuversicht, Sicherheit, Prachtliebe, Beständigkeit, Geduld, Festigkeit;“ Andronicus: „das Wohlgemutetsein (eupsychia), die Langmut, die Hochherzigkeit, die Männlichkeit, die Beharrlichkeit, die Prachtliebe, die Großmut.“ Cicero also zählt nicht gut auf. VII. Aristoteles zählt fünf Teile auf: 1. Die politische Stärke, welche stark ist im Wirken aus Furcht vor Entehrung und vor Strafe; — 2. die militärische, im Kriege; — 3. die Stärke, welche aus Leidenschaft, zumal aus Zorn wirkt; — 4. die Stärke, welche festbleibt, um den Sieg zu erlangen; — 5. die Stärke, welche aus Unerfahrenheit kommt, weil man die Gefahren nicht kennt. Also sind die vorgängigen Aufzählungen unzureichend.
b) Ich antworte, zuvörderst fallen bei der Stärke die subjektiven Teile fort; nämlich jene an sich selbständigen Tugenden, welche Untergattungen der Stärke sind, wie das „Sinnbegabte“ und „Vernünftige“, die subjektiven Teile im Menschen sind; worin also das ganze Wesen der Stärke gewahrt bleibt, wie man sagen kann, der Mensch seinem ganzen Wesen nach sei vernünftig und seinem ganzen Wesen nach sei er sinnbegabt. Solche Teile fallen bei der Stärke fort; denn ihr Gegenstand ist sehr beschränkt, nämlich speciell die Todesgefahr. Es bleiben also noch die integralen Teile, welche den Akt selber der Stärke zusammensetzen; und die potentialen, insoweit das, was die Stärke beobachtet mit Rücksicht auf die Todesgefahr, einige andere Tugenden beobachten mit Rücksicht auf weniger große Schwierigkeiten; soweit also in diesen Nebentugenden das Vermögen oder die Kraft der Stärke sich äußert. Nun ist der Akt der Stärke ein doppelter: Angreifen nämlich und Ertragen. Zum Akte des Angreifens wird zweierlei erfordert: 1. die innere Bereitwilligkeit, Gefahren zu trotzen; mit Rücksicht darauf nennt Cicero die Zuversicht, „kraft deren der Geist mit zuverlässiger Hoffnung in großen und ehrbaren Dingen sich verhält“ (I. c.). Es ist 2. erfordert zum Angreifen die Ausführung des Werkes, welches mit Zuversicht angefangen worden; und mit Rücksicht darauf nennt Cicero die Prachtliebe, die da (I.
c) „das Erwägen und Leiten großer und erhabener Dinge ist, verbunden mit großmütigem und glanzvollem Vorsätze;“ daß nämlich dem weiten Vornehmen die Ausführung nicht mangele. Diese zwei Zustände demnach sind, werden sie auf den eigensten Gegenstand der Stärke, die Todesgefahr, bezogen, wie integrale, den Akt der Stärke zufammensetzende Teile; — werden sie auf minder große, eigene und besondere Schwierigkeiten bezogen, so sind sie eigene Nebentugenden, potentiale Teile der Stärke. So sagt Aristoteles (l. c.) die Prachtliebe gehe auf große Ausgaben, die Hochherzigkeit (bei Cicero etwa die Zuversicht) auf große Ehren. Zum Ertragen wird ebenfalls zweierlei erfordert: 1. daß nicht durch allzu große Trauer der Geist gebrochen wird und von der Seelengröße sich entfernt; mit Rücksicht darauf setzt Cicero die Geduld an, die da (I. c.): „das freiwillige und langwierige, auf die Ehrbarkeit oder den Nutzen gegründete Erleiden schwerer und drückender Dinge ist;“ — 2. daß das lange Erleiden den Menschen nicht ermüde, nach Hebr. 12.:. „Werdet nicht müde und somit ohnmächtig in eueren Seelen;“ und mit Bezug darauf setzt Cicero die Beharrlichkeit an, die da ist (I. c.) „das feste und beständige Verbleiben in dem, was als vernunftgemäß erkannt worden.“ Werden diese beiden Zustände eigens auf den Gegenstand der Stärke nur bezogen, die Todesgefahr, so sind sie integrale Teile; werden sie auf minder Schwieriges bezogen, so sind sie eigene Nebentugenden der Stärke, ihre potentialen Teile.
c) I. Die Prachtliebe fügt zur Freigebigkeit das Großartige, also Schwierigkeiten hinzu; und deshalb gehört sie der Abwehrkraft und somit der Tugend der Stärke an. II. Die Hoffnung, womit jemand sich auf Gott verläßt, ist eine theologische Tugend. Zuversicht hier will besagen die Hoffnung, welche der Mensch in die eigenen Kräfte setzt, freilich unter Gott; und gehört somit zur Stärke. III. Was auch immer für große Dinge angreifen scheint gefahrvoll zu sein; denn darin fehlgreifen ist stets schädlich. Mögen also die Prachtliebe und die Zuversicht was immer für große Dinge zum Gegenstande ihres Thuns haben, sie haben immer eine gewisse Verwandtschaft mit der Stärke auf Grund der drohenden Gefahr. IV. Die Geduld erstreckt sich auch auf anderes minder Schwierige, nicht gerade auf Todesgefahren, auf welche die Stärke sich richtet; und danach ist sie eine Nebentugend der Stärke. Insoweit sie auf die Todesgefahren sich erstreckt, ist sie ein integraler Teil der Stärke. V. Die Beharrlichkeit als besagend die Fortsetzung eines guten Werkes bis zum Ende, kann ein Umstand jeder Tugend sein. Sie ist ein Teil der Stärke in der Weise wie es gesagt worden. VI. Macrobius setzt an wie Cicero die Zuversicht, die Prachtliebe, die Geduld und Festigkeit (wofür Cicero „Beharrlichkeit“ sagt). Er fügt hinzu: die Hochherzigkeit und Sicherheit, welche Cicero in der Zuversicht miteinbegreift. Macrobius geht darin nur mehr ins Einzelne. Denn Zuversicht besagt die Hoffnung des Menschen auf Großes; die Hoffnung aber auf irgend welche Dinge setzt voraus das Begehren nach Großem und zwar ein Begehren, was durch das Verlangen und die Sehnsucht erweitert worden ist; und dies gehört zur Hochherzigkeit. Die Hoffnung nämlich, wie I., II. Kap. 40, Art. 7 gesagt worden, setzt voraus die Liebe und die Sehnsucht rücksichtlich der gehofften Sache. Oder besser noch kann gesagt werden: Die Zuversicht will besagen die Zuverlässigkeit der Hoffnung; die Hochherzigkeit aber bezieht sich auf die Größe der gehofften Sache. Die Hoffnung nun kann keine zuverlässige sein, wenn nicht das Gegenteil davon entfernt wird. Denn bisweilen würde jemand, soweit dies von ihm abhängt, etwas erhoffen; aber die Hoffnung wird entfernt auf Grund des Hindernisses der Furcht, da die Furcht gewissermaßen im Gegensatze steht zur Hoffnung (I. c.). Und deshalb nennt Macrobius die Sicherheit, welche die Furcht ausschließt. Als Drittes noch fügt Macrobius hinzu die Beständigkeit, welche in der Prachtliebe enthalten ist; denn wer etwas Großartiges beginnt, der muß einen beständigen Geist haben. Deshalb sagte Cicero, zur Prachtliebe gehöre es, nicht nur große Dinge zu leiten oder auszuführen, sondern auch ein „weites, umfassendes Vornehmen“ zu haben. Die Beständigkeit kann auch zur Beharrlichkeit gehören, so daß „beharrlich“ genannt wird, wer wegen der langen Zeit nicht abläßt, und „beständig“, wer wegen beliebiger anderer Hindernisse nicht absteht. Andronicus nun setzt die „Beharrlichkeit“ und „Prachtliebe“ mit Cicero und Macrobius an; die „Hochherzigkeit“ mit Macrobius. Die Langmut als „Zustand“, wie er sagt, „geeignet, etwas anzufangen, wie sich gebührt, und zu ertragen, was die Vernunft anordnet“ ist dasselbe wie die Geduld. „Wohlgemutetsein“ bezeichnet das Nämliche wie Sicherheit; denn es ist „die Kraft der Seele, das zu vollenden, was die Seele sich vornimmt.“ Die Männlichkeit kommt überein mit der Zuversicht; denn „sie ist ein Zustand, zugeteilt in dem, was der Tugend entspricht.“ Die „Großmut“ fügt er der Prachtliebe hinzu, um die innere Bereitwilligkeit auszudrücken, insofern bei einem großartigen Vorhaben man auch mit einer gewissen sorgsamen Klugheit verfahren muß; wonach die Großmut „erfinderisch ist im Mitteilen der eigenen Wirksamkeit.“ Alle derartige Teile also lassen sich auf die vier hervorragenden Teile der Stärke zurückführen, wie sie Cicero anführt. VII. Jene fünf Dinge, die Aristoteles anführt, haben nicht den Charakter der wahren Tugend; denn obgleich sie in dem Akte der Stärke übereinkommen, sind sie doch im Beweggrunde verschieden; vgl. Kap. 123, Art. 1 ad II. Es sind keine Teile der Stärke, sondern gewisse Weisen, die Star darzuthun..
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