Zehnter Artikel. Die nämliche Art Sünde ist schwerer, wenn sie eine Ordensperson, als wenn sie eine Weltperson begeht.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. 2. Paral. 30. heißt es: „Der gute Herr wird allen gnädig sein, die von ganzem Herzen den Herrn, den Gott ihrer Väter, suchen; und wird es ihnen nicht anrechnen, wenn sie minder geheiligt sind.“ Die Ordensleute aber scheinen mehr von ganzem Herzen dem Gott ihrer Väter zu folgen wie die Weltleute, die nur zum Teil sich Gott hingeben und zum Teil sich und das Ihrige für sich behalten. Also wird es ihnen minder angerechnet, wenn sie in etwas der Heiligkeit ermangeln. II. 2. Paral. 19. wird gesagt: „Dem Gottlosen hast du beigestanden und denen, die Gott hassen, warst du Freund; deshalb hast du Gottes Zorn verdient, jedoch fanden sich in dir gute Werke.“ Die Ordensleute aber machen mehr gute Werke wie die Weltleute; also wenn sie sündigen zürnt Gott minder wider sie. III. „In Vielem stoßen wir alle an,“ nach Jakob. 3. Wären also die Sünden der Ordensleute auf Grund ihres Standes schwerer wie die der Weltleute, so würden sie in einer schlechteren Lage sein wie diese. Auf der anderen Seite ist der Schmerz größer, wenn das Übel größer ist. Die Sünden jener aber, die trotz des Standes der Heiligkeit und Vollkommenheit, in dem sie sich finden, sündigen, machen mehr Schmerz. Denn Jerem. 23. wird gesagt: „Mein Herz ist zerknirscht in mir; denn der Prophet und der Priester sind befleckt und in meinem Hause fand ich ihr Übel.“ Also sind die nämlichen Sünden in den Ordensleuten schwerer wie in den Weltleuten.
b) Ich antworte, die Sünden der Ordensleute seien in dreifachem Sinne schwerer wie die der Weltleute: 1. wenn sie gegen die Gelübde sich richten, wie z. B. wenn eine Ordensperson stiehlt oder unkeusch ist; denn sie handelt damit nicht allein gegen das göttliche Gebot, sondern auch gegen das Gelübde der Armut oder der Keuschheit; — 2. wenn sie aus Verachtung hervorgehen; denn dann zeigt sich die Ordensperson Gott gegenüber undankbar, durch dessen Wohlthaten sie bis zum Stande der Vollkommenheiten erhoben worden ist, wie Paulus (Hebr. 10.) sagt, der gläubige verdiene schwerere Strafen, weil er durch die Sünde den Sohn Gottes verachtet und mit Füßen tritt, und wie Jerem. 11. der Herr sich beklagt: „Weshalb hat doch der, den ich liebte, in meinem Hause viele Sünden begangen?“ — 3. wenn die Sünde der Ordensperson mehr Ärgernis giebt, weil viele sich einen Ordensangehörigen zum Muster nehmen, nach Jerem. 23.: „In den Propheten Jerusalems sah ich Ähnlichkeit mit Ehebrechern und den Weg der Lüge; sie kräftigten die Hände der schlechtesten, daß keiner bekehrt werde von seiner Bosheit.“ Sündigt aber die Ordensperson nicht aus Verachtung, sondern aus Schwäche oder Unkenntnis, und im verborgenen, also ohne Ärgernis; so ist ihre Sünde leichter als die entsprechende einer Weltperson. Denn eine solche Sünde wird gleichsam aufgezehrt durch das viele Gute, was die Ordensperson sonst thut; und ist es eine Todsünde, so steht die Ordensperson schneller von ihrem Falle auf. Denn 1. ist sie geübt in der geraden Absicht auf Gott hin, so daß, wenn diese auch wirklich für einen Augenblick unterbrochen wird, sie doch leicht wiederherzustellen ist. Deshalb sagt zu Ps. 36. (cum ceciderit) Origenes: „Wenn der gottlose fällt, so bereut er nicht und weiß nicht seine Sünde gutzumachen; — der gerechte weiß sich zu bessern, wie jener, der gesagt hatte: ich kenne den Menschen nicht, als der Herr ihn nur angeblickt, bitter weinte; und wie jener, der vom Dache her gesehen, da eine Frau sich badete, und der sie begehrt hatte, sprach: Ich habe gesündigt und Übel vor Dir gethan.“ Es hilft 2. dem Ordensmann, wenn er schwer sündigt, die Gesellschaft seiner Brüder, daß er leichter und schneller wiederaufstehe, nach Ekkle. 4.: „Wenn der eine fällt, wird er vom anderen wieder aufgerichtet werden. Wehe dem, der allein steht; denn wenn er fällt, hat er niemanden, der ihm hilft, aufzustehen.“
c) I. Da wird von dem, was man aus Schwäche sündigt, gesprochen; nicht von der Sünde, die aus der Verachtung hervorgeht. II. Auch Josaphat, dem diese Worte gesagt werden, hat aus Schwäche gesündigt. III. Die gerechten sündigen nicht leicht aus Verachtung; sondern fallen manchmal in eine Sünde aus Schwäche oder Unkenntnis, von der sie leicht sich wieder erheben. Fallen sie aber so tief, daß sie aus Verachtung sündigen, so werden sie die schlechtesten und unverbesserlichsten, nach Jerem. 2.: „Gebrochen hast du das Joch, zerrissen die Fesseln, gesprochen: Ich will nicht dienen. Auf jedem Hügel und unter jedem laubreichen Baume hast du dich hingestreckt; um zu sündigen.“ Deshalb sagt Augustin(ep. 78. ad pleb. Hippon.): „Seit ich angefangen, Gott zu dienen, habe ich immer die Erfahrung gemacht, es gebe keine besseren wie jene, die in Klöstern Fortschritte machten; aber auch keine schlechteren wie jene, die in Klöstern fielen.“
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