Erster Artikel. Christus mußte einen wahren Körper annehmen.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Nach Phil. 2. „ward Christus ähnlich den Menschen“ (in similitudinem hominum factus). Was aber in Wirklichkeit und Wahrheit da ist, das ist nicht gemäß einer Ähnlichkeit. Also hatte Christus keinen wahren Leib. II. Die Annahme der menschlichen Natur schadet in nichts der Würde der Gottheit. Denn Leo der Große sagt (serm. de nativ.): „Die niedereNatur ward nicht verzehrt durch die Verherrlichung und die höhere Natur nicht gemindert durch das Annehmen der niederen.“ Dies aber gehört zur Würde Gottes, keinen Körper zu haben. Also hat Christus keinen Körper angenommen. III. Die Zeichen müssen entsprechen dem Bezeichnten. Die Erscheinungen aber im Alten Testamente, welche hindeuteten auf Christi Erscheinen, geschahen nicht gemäß der Wirklichkeit des Körperlichen, sondern mittels Phantasiebilder, nach Jsai. 6.: „Ich sah den Herrn, der da saß . . .“ Also war auch ähnlich das Erscheinen Christi auf Erden. Auf der andersn Seite sagt Augustin (83 Qq. 18.): „War Christus ein Phantasiebild, ein Phantom, so täuschte Er; und wenn Er täuschte, so ist Er nicht die Wahrheit. Christus aber ist die Wahrheit. Also war kein Phantom sein Körper.“
b) Ich antworte mit den Worten aus dem lib. de eccles. dogm. c. 2.: „Geboren ist der Sohn Gottes nicht der bloßen Meinung nach, als ob Er einen Scheinleib habe; sondern Er hatte einen wahren wirklichen Körper.“ Drei Gründe können davon angegeben werden: 1. Zum Wesen der menschlichen Natur gehört es, einen wahren Körper zu haben; hat also Christus die menschliche Natur annehmen wollen, so mußte Er einen wahren Körper haben. 2. War Christi Leib nur ein Scheinleib, so ist Christus auch nicht wahrhaft gestorben und hat nichts von dem überhaupt wahrhaft gethan, was die Evangelien erzählen, sondern nur einem gewissen Anscheine nach; und so ist auch nicht das Heil der Menschen in Wahrheit erfolgt, da die Wirkung entsprechen muß der Ursache. 3. Der Sohn Gottes ist die Wahrheit; also ist es gegen seine Würde, daß in seinen Werken irgend welche Verstellung oder bloßer Schein sei. Deshalb hat diesen ganzen Irrtum der Herr selber widerlegen wollen, als Er den verwirrten Jüngern, die da glaubten, einen Geist zu sehen, sagte (Luk. ult.): „Fühlet und sehet; denn ein Geist hat kein Fleisch und keine Knochen, wie ihr seht, daß ich deren habe.“
c) I. Alle, die wahrhaft und wirklich die menschliche Natur besitzen, sind darin einander ähnlich. Und so nimmt der Apostel seine Worte; denn er fügt hinzu: „Er ward gehorsam bis zum Tode und bis zum Tode am Kreuze,“ was bei einem bloßen Phantom eine Unmöglichkeit wäre. II. Das Annehmen eines wahren Leibes vermindert in nichts die Würde des Gottessohnes. Deshalb sagt Augustin (de fide ad Petr. 2.): „Er hat sich selbst zu nichte gemacht, Knechtsgestalt annehmend, damit Er Knecht würde; aber die Natur Gottes und deren Fülle hat Er nicht verloren.“ Denn nicht wurde der Sohn Gottes die Gestalt des Körpers, was der göttlichen Würde widersprechen würde; denn das wäre ein Annehmen des Leibes in die Einheit der Natur, was unmöglich ist. Vielmehr behielt Er die göttliche Natur und nahm an die menschliche in die Einheit der Person. III. Die Figur oder das Bild muß dem Bezeichnten entsprechen vermittelst der Ähnlichkeit, nicht aber gemäß der wahrhaftigen Wirklichkeit; es wäre ja dann eben die bezeichnte Sache selbst (3. de orth. fide 26.). Daher war es zweckentsprechend, daß die Erscheinungen im Alten Testamente wie Figuren waren; das Erscheinen Christi aber gemäß der Wahrheit und Wirklichkeit des Körpers. Deshalb sagt von diesen alttestamentlichen Zeichen Paulus (2. Koloss. 2.), sie seien „der Schatten gewesen der zukünftigen Dinge; der Körper aber war Christi.“
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