Vierter Artikel. Mit Rücksicht auf die Ausführung seines eigenen willens hatte Christus Allmacht.
a) Das Gegenteil hat folgende Gründe für sich: I. Mark. 7. heißt es, daß „Er, in das Haus getreten, nicht wollte, daß dies jemand wisse und Er konnte nicht verborgen bleiben.“ Also konnte Er nicht in Allem seinen Willen ausführen. II. Manches hat der Herr vorgeschrieben, also wollte Er es. Und trotzdem geschah das Gegenteil; wie Matth. 9., wo Er den geheilten blinden sagte: „Sehet zu, daß niemand es wisse. Sie aber gingen heraus und erzählten es in der ganzen Gegend.“ III. Was jemand selbst thun kann, erbittet er nicht von einem anderen. Der Herr aber betete zum Vater, damit was Er, der Herr, wolle geschehe; nach Luk. 6, 12.: „Er ging auf den Berg, um zu beten und verblieb in der Nacht im Gebete.“ Auf der anderen Seite sagt Augustin (de qu. V. et N. T. 77.): „Unmöglich ist es, daß der Wille des Heilandes sich nicht erfülle; denn Er kann nicht wollen das, von dem Er weiß, es dürfe nicht geschehen.“
b) Ich antworte; die Seele Christi wollte 1. etwas, was durch sie selbst gewissermaßen geschehen sollte; und nach dieser Seite konnte sie, was sie wollte; denn ihrer Weisheit wäre es nicht zukömmlich gewesen, etwas thun zu wollen, was ihrer Macht nicht unterlag; — 2. wollte sie etwas, als durch göttliche Kraft zu erfüllen, wie das Auferstehen des eigenen Leibes u. dgl., was sie nicht durch eigene Kraft konnte, sondern als Werkzeug der Gottheit.
c) I. „Was geschehen ist,“ sagt Augustin (l. c.), „von dem muß man glauben, daß Christus es gewollt hat. Denn man muß wohl bemerken, daß dies im Gebiete der Heiden geschehen ist, denen zu predigen die Zeit noch nicht gekommen war. Nicht aber anzunehmen jene, die aus freien Stücken kamen, wäre Eifersucht gewesen. Er wollte also nicht, daß die Seinigen Ihn ankündeten; Er wollte jedoch gesucht werden; und so geschah es.“ Oder man kann sagen, was Christus da wollte, das wollte Er nicht so, daß es durch Ihn selbst geschehen sollte, sondern durch andere, deren Wille nicht dem seinigen menschlichen unterstand. Deshalb heißt es im Briefe des Papstes Agatho (syn. 6. Const. 3. Act. 4.): „Der also Alles geschaffen hat und erlöst, Er hätte auf Erden nicht verborgen bleiben können, wenn Er gewollt hätte? Vielmehr wird dies auf seinen menschlichen Willen, den Er in der Zeit annehmen wollte, bezogen.“ II. Gregor der Große (19. moral. 14.) antwortet darauf: „Damit gab der Herr seinen Knechten ein Beispiel, daß sie zwar sich danach sehnen sollen, ihre Tugenden und Kräfte verborgen zu halten; aber daß sie gegen ihren Willen offenbar werden, damit andere durch ihr Beispiel Fortschritte machen.“ Jenes Gebot also drückte seinen Willen aus, die Ehre bei den Menschen zufliehen, nach Joh. 8.: „Ich suche nicht meine Ehre.“ Er wollte jedoch schlechthin und zumal gemäß dem göttlichen Willen, daß sein Wunder zum Zwecke des Nutzens anderer bekannt würde. III. Christus betete sowohl für das, was durch göttliche Kraft geschehen sollte als auch für das, was Er kraft seines menschlichen Willens vollbringen wollte. Denn die Kraft und das Wirken der Seele Christi hing von Gott ab, „der in uns wirkt das Wollen und Vollbringen“ (Phil. 2.).
