Erster Artikel. Es war zukömmlich, daß der Herr körperliche Mängel an sich genommen hat.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Wie die Seele, so ist auch der Körper mit dem Worte Gottes in Person vereinigt worden. Die Seele aber ward allseitig vollendet in Gnade und Wissen. Also mußte auch in entsprechender Weise der Körper es sein. II. Die Seele Christi war selig durch das Anschauen Gottes. Aber von der Seligkeit der Seele aus wird verherrlicht der Körper. Denn Augustin sagt (ep. ad Dioscorum 118.): „Gott hat die Seele mit einer so gewaltigen Natur ausgestattet, daß aus der Fülle ihrer Seligkeit überfließt auch auf den Körper; nicht zwar eine Seligkeit wie sie dem erkennenden und genießenden eigen ist, aber wohl die Fülle der Gesundheit, nämlich die Kraft der Unsterblichkeit.“ Der Leib Christi also mußte leidensunfähig und unsterblich sein. III. In Christo war keine Schuld; denn „Er hat keine Sünde begangen“ (1. Petr. 2.). Also durfte in Ihm keine Strafe und somit kein körperlicher Mangel sein. IV. Niemand, der weise ist, nimmt das an, was ihn vom vorgesteckten Ziele abwendet. Der Zweck der Menschwerdung aber ward vielfach gehindert durch solche körperliche Mängel. Denn 1. wurden die Menschen auf Grund dieser Mängel gehindert in seiner Kenntnis, nach Isai. 53.: „Wir haben Ihn ersehnt, der da verachtet war, den letzten der Menschen, den Mann der Schmerzen und der da wußte, was Schwäche ist; und wie verborgen war sein Antlitz und verachtet; und wir erachteten Ihn wie ein Nichts.“ 2. Es wurde das Verlangen der heiligen nicht erfüllt, nach Isai. 5.: „Stehe auf, stehe auf, in der Stärke des Armes des Herrn.“ 3. Zulässiger scheint es, daß durch Kraft und nicht durch Schwäche die Macht des Teufels gebrochen und die menschliche Ohnmacht geheilt werde. Auf der anderen Seite heißt es Hebr. 2.: „Worin Er gelittenhat, darin ist Er selber geprüft worden; und deshalb ist Er mächtig, denen zu helfen, die geprüft werden.“ Deshalb aber kam der Herr auf die Erde, daß Er uns helfe, nach Ps. 120.: „Meine Augen habe ich erhoben zu den Bergen, von denen mir Hilfe kommt.“ Also zulässigerweise nahm Er die körperlichen Schwächen an.
b) Ich antworte, aus drei Gründen sei es zukömmlich gewesen, dah Christus die körperlichen Mängel annahm. 1. Der Sohn Gottes kam in die Welt, um für die Sünden genugzuthun. Der eine aber thut für den anderen genug, indem er die Strafen, die jener verdient hat, auf sich nimmt. Nun ist Hunger, Durst, der Tod und ähnliches Elend Strafe für die Sünde, nach Röm. 5.: „Durch die Sünde ist der Tod in die Welt getreten.“ Also mußte der Herr, um für unsere Sünden genugzuthun, diese Strafen in Wahrheit auf sich nehmen für uns, nach Isai. 73.: „Unsere Krankheiten hat Er getragen.“ 2. Es mußte der Glaube an die Menschwerdung gefestigt werden. Da nämlich die menschliche Natur nicht anders den Menschen bekannt ist als insoweit sie solchen Mängeln im Körper unterliegt, hätten die Menschen nicht geglaubt, daß Christus wahrer Mensch sei, wenn Er nicht dergleichen Mängel mit angenommen haben würde; man hätte nicht geglaubt, Er habe wahres Fleisch gehabt, wie trotzdem die Manichäer dies thaten. Deshalb „hat Er“, nach Phil. 2. „Sich selbst zunichtegemacht, die Gestalt eines Knechtes angenommen, ward ähnlich den Menschen und erfunden in seinem Zustande wie ein Mensch.“ So wurde der Apostel Thomas durch den Anblick der Wunden zum Glauben zurückgebracht (Joh. 20.). 3. Er ist dadurch uns ein Beispiel der Geduld geworden, nach Hebr. 12.: „Christus hat von den Sündern her Widerspruch geduldig ertragen, damit ihr nicht müde werdet in eueren Seelen, wenn ihr leidet.“
c) I. Den Stoff für die Genugthuung, die jemand für einen anderen auf sich nimmt, bilden zwar gewissermaßen die Strafen, welche ihn für den anderen treffen. Aber als maßgebendes Princip hat die Genugthuung einen Zustand der Seele, durch welchen der betreffende dazu hingeneigt wird, für den anderen genugzuthun und woraus die Genugthuung selber ihre Wirksamkeit hat. Denn wirksam wäre eine Genugthuung nicht, die nicht aus Liebe hervorginge. Deshalb mußte die Seele Christi vollendet sein in den Zuständen des Wissens und der Gnade, damit sie geeignet sei, um genugzuthun; und der Körper mußte Mängeln und Schwächen unterworfen sein, damit er den Stoff biete, um genugzuthun. II. Die natürliche Beziehung zwischen Leib und Seele, wonach die Herrlichkeit der Seele überfließt auf den Körper, unterlag in Christo dem Willen der Gottheit in Ihm; und danach geschah es, daß die Seligkeit in der Seele blieb und nicht überfloß auf den Leib. Danach sagt Damascenus (3. de orth. fide 17.): „Durch das Wohlgefallen des göttlichen Willens geschah es, daß dem Leibe gestattet wurde zu leiden und zu wirken das, was ihm zukam.“ III. Die Strafe folgt immer der persönlichen oder der Erbschuld. Der aber gestraft wird, ist nicht immer der Sünder selbst, sondern der für ihn die Strafe auf sich nimmt. Und so war es in Christo, nach Isai 53.: „Er ist verwundet worden wegen unserer Missethaten, betrübt wegen unserer Verbrechen.“ IV. Die von Christo angenommenen Schwächen des Körpers haben den Zweck der Menschwerdung, anstatt ihm zu schaden, machtvoll gefördert.Und obgleich seine Gottheit dadurch in etwa verborgen wurde, so ward dadurch seine Menschheit um so mehr offenbar gemacht, die doch den Weg bildet, um zur Gottheit zu gelangen, nach Röm. 5.: „Zugang haben wir zu Gott durch Christum.“ Die alten Väter aber wollten sehen die geistige Kraft in Christo, durch die Er den Teufel bezwang und den Menschen heilte.
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