Zweiter Artikel. Die Mutter Gottes war Jungfrau in der Geburt.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Ambrosius sagt zu Luk. 1. (mne masculinum): „Der da einen fremden Leib geöffnet hat, damit ein Prophet geboren würde; Er hat den Leib seiner Mutter geöffnet, damit Er unbefleckt herausgehe.“ Dies aber schließt die Jungfräulichkeit aus. II. Es darf im Geheimnisse der Menschwerdung nichts sich finden, wodurch der Leib Jesu als ein Phantasiegebilde hingestellt würde. Daß aber ein Körper durch geschlossene Räume hindurchgehen kann, scheint mehr einem phantastischen Leibe zuzukommen wie einem wahrhaften und wirklichen; da ja zwei Körper nicht zugleich am selben Orte sein können. Also schickt es sich nicht, daß bei der Geburt Maria Jungfrau blieb. III. Gregor der Große sagt (hom. 26.): „Dadurch daß der Körper Christi durch geschlossene Thüren zu den Jüngern eintrat, zeigte Er, daß dieser Körper der gleichen menschlichen Natur angehörte, aber verherrlicht war.“ Bei seiner Geburt aber hatte der Herr einen leidensfähigen Leib und keinen verherrlichten; denn „Er ward geboren in der Ähnlichkeit des Fleisches der Sünde“ (Röm. 8.). Also ging Er nicht von der Jungfrau aus ohne Verletzung der Jungfrauschaft. Auf der anderen Seite heißt es im Konzil von Ephesus (part. 3. c. 19.): „Die Natur erkennt nach der Geburt nicht mehr die Jungfrau als Jungfrau an; die Gnade aber macht gebären, sie macht zur Mutter und schadet nicht der Jungfräulichkeit.“ Also war Maria Jungfrau im Gebären.
b) Ich antworte, ohne allen Zweifel sei Maria Jungfrau geblieben in der Geburt; denn der Prophet sagt: „Siehe, die Jungfrau wird empfangen, und sie wird gebären einen Sohn.“ Dies war zukömmlich wegen zweierlei: 1. Es gebührte der Würde desjenigen, der geboren wurde, der da ist das Wort Gottes. Damit also gezeigt würde, es sei dies der Körper des ewigen Wortes selber, war es zukömmlich, daß Er ohne Verletzung der Jungfräulichkeit geboren wurde. Deshalb heißt es im Konzil von Ephesus (l. c.): „Die da bloßes Fleisch gebiert, hört auf, Jungfrau zu sein. Weil aber aus Maria geboren worden ist im Fleische das Wort Gottes, bewahrt sie die Jungfräulichkeit und zeigt damit, daß das ewige Wort von ihr ausgeht. Denn auch nicht unser Wort, wenn es in unserem Innern geboren wird, verdirbt den vernünftigen Geist; und so hat auch nicht Gott, das substantiale Wort, da Er geboren werden wollte, die Jungfräulichkeit hinweggenommen.“ 2. Wegen der Wirkung der Menschwerdung Christi. Denn dazu kam der Herr, damit Er unsere Verderbtheit entferne; also wäre es nicht zukömmlich gewesen, daß Er durch seine Geburt die Jungfräulichkeit der Mutter verdorben hätte: „Es geziemte sich nicht, daß Jener durch seine Ankunft die jungfräuliche Unversehrtheit verderbe, der da gekommen war, um das Verderbte zu heilen,“ sagt Augustin (de nativ. Dom.).
c) I. Ambrosius sagt dies zu den Worten: „Alles Männliche, was den Mutterleib öffnet, wird als dem Herrn Geheiligtes bezeichnet werden.“ „Dies aber wird gesagt,“ so Beda (cap. 8. in Luc.), „nach der gewöhnlichen Weise der Geburt; nicht als ob der Herr das gastliche Zelt des heiligen Leibes, das Er eintretend geheiligt, bei seinem Austritte der Jungfräulichkeit beraubt hätte.“ Jenes „Öffnen“ also bezeichnet nur den Austritt der Frucht aus dem Mutterleibe, nicht die Verletzung der jungfräulichen Scham. II. So wollte Christus die Wahrheit seiner menschlichen Natur zeigen, daß auch seine Göttlichkeit zugleich dargethan würde; weshalb Er Wunderbares mit Gewöhnlichem vermengte. Damit also sein Leib als wahr dargethan werde, wird Er geboren von einer Frau; damit seine Gottheit geoffenbart werde, wird Er geboren von einer Jungfrau. „Denn eine solche Geburt geziemte Gott,“ sagt Ambrosius im Weihnachtshymnus. III. Manche sagen, Christus habe bei seiner Geburt die Gabe für seinen Körper angenommen, überall durchdringen zu können: die Gabe der subtilitas. Dies aber ist nicht zulässig. Denn dergleichen Gaben fließen auf den Körper über aus der Herrlichkeit der Seele. Vor seinem Leiden aber gestattete Christus ein solches Überfließen nicht, sondern erlaubte dem Körper, das diesem als leidensfähigem Körper Eigene zu thun und zu leiden. Deshalb muß man sagen, dies und Ähnliches geschah, nicht durch eine dem Körper innewohnende Kraft, sondern durch wunderbares Einwirken der Gottheit. Deshalb schreibt Augustin (tract. 21. in Joan.): „Der Last des Körpers widerstanden da, wo die Gottheit war, nicht die geschlossenen Thüren; Jener nämlich konnte bei geschlossenen Thüren eintreten, bei dessen Geburt die Jungfräulichkeit der Mutter unverletzt verblieb.“ Und Dionysius schreibt (ep. 3. ad Cajum): „Christus wirkte das dem Menschen Zukommende mit einer über das Menschliche hervorragenden Kraft. Und das wird dargethan durch die Jungfrau, die da über die Natur hinaus empfängt; und durch das Wasser, welches festbleibt unter dem irdischen Gewichte seiner Füße.“