Achter Artikel. Christus war nicht in den Lenden Abrahams dem Melchisedech gegenüber dem Zehnten unterworfen.
a) Dies scheint aber. Denn: I. Hebr. 7. heißt es: „Levi (der von Abraham abstammte) war in Abraham dem Zehnten an Melchisedech unterworfen, weil er, als Abraham dem Melchisedech den Zehnten gab, noch in den Lenden Abrahams war.“ Aber Christus war ähnlich wie Levi in den Lenden Abrahams. Also war Er auch an den Zehnten gebunden mit Rücksicht auf Melchisedech. II. Christus ist nach seiner Mutter aus dem Samen Abrahams. Maria aber ward in Abraham an den erwähnten Zehnten gebunden. III. „Jenes, was in Abraham dem Zehnten unterworfen ward, war der Heiligung bedürftig,“ sagt Augustin (10. sup. Gen. 20.). Der Heiligung aber bedarf alles der Sünde unterworfene Fleisch. Da nun, wenigstens soweit es in den Vätern sich fand, das Fleisch Christi der Sünde Unterthan war, so war es auch in Abraham unter dem Zehnten. IV. Dies vermindert in nichts die Würde Christi. Denn wenn auch der Vater des Papstes z. B. den Zehnten giebt einem einfachen Priester, so bleibt doch der Sohn dieses Vaters, der Papst, höher wie dieser einfache Priester. Wenn man also auch auf Grund dessen, daß Abraham dem Melchisedech den Zehnten gab, sagt, Christus sei in Abraham dem Zehnten unterworfen worden; so bleibt deshalb doch Christus größer als Melchisedech. Auf der anderen Seite ist nach Augustin (10. sup. Gen. ad litt. 20.) „Christus nicht in Abraham dem Zehnten unterworfen worden; denn nicht entnahm Christus von daher den Brand der Wunde, sondern den Stoff für das Heilmittel“, nämlich sein Fleisch.
b) Ich antworte, der Apostel selber wolle offenbar nicht sagen, daß Christus in Abraham dem Zehnten an Melchisedech unterworfen worden sei. Denn seine Absicht geht dahin, zu beweisen, daß das Priestertum Christi, welches nach der Ordnung des Melchisedech ist, größer sei wie das Priestertum Levis; und er beweist dies dadurch, daß Levi in Abraham, seinem Stammvater, den Zehnten gab dem Melchisedech, also diesen als den höheren anerkannte. Wäre nun Christus in Abraham ebenfalls diesem Zehnten unterworfen worden, so würde sein Priestertum niedriger gewesen sein wie das des Melchisedech und nicht „nach der Ordnung des Melchisedech“. Also ist Christus nicht in Abraham dem Zehnten an Melchisedech unterworfen worden. Denn wer den Zehnten giebt, behält neun Teile und giebt den zehnten Teil einem anderen, was ein Zeichen der eigenen Unvollkommenheit ist; insoweit in der Zehnzahl alle Zahlen ihren Abschluß finden, die da vorgehen bis zur Zehn. Wer also den Zehnten giebt, der bekennt sich als unvollkommen und schreibt einem anderen die Vollendung zu. Die Unvollkommenheitdes menschlichen Geschlechtes nun rührt von der Sünde her, und diese bedarf der Vollkommenheit von seiten desjenigen, der von der Sünde heilen kann. Zu heilen aber von der Sünde ist eigen allein Christo, der da kam, hinwegzunehmen die Sünden der Welt; und nach dieser Seite hin war Melchisedech die Figur oder das Sinnbild Christi, wie eben da der Apostel beweist. Dadurch also daß Abraham dem Melchisedech den Zehnten gab, bekannte er sich als empfangen in Sünden, sich sowohl wie alle, die von ihm abstammen würden in dem Sinne daß sie die Erbsünde an sich tragen; und bekannte so zugleich, daß sie der Heilung bedürften in Christo. Isaak aber, Jakob und Levi und alle anderen waren so in Abraham, daß sie nicht nur mit Rücksicht auf „die körperliche Substanz“, den Stoff nämlich, sich von ihm ableiteten; sondern auch mit Rücksicht auf die wirksame Zeugungskraft, auf Grund deren die Erbsünde sich fortpflanzt. Alle sind also in Abraham dem Zehnten an Melchisedech unterworfen worden; d. h. sie alle bekannten in Abraham, daß sie der Heilung durch Christum bedurften. Christus allein stammte nicht von Abraham ab gemäß der wirkenden formenden Zeugungskraft, sondern nur gemäß der „körperlichen Substanz“. Also war Er nicht in Abraham als der Heilung bedürftig, sondern vielmehr als das Heilmittel für die Wunde. Und somit ist Er nicht in Abraham dem Zehnten an Melchisedech unterstanden.
c) I. Damit beantwortet. II. Maria war in der Erbsünde empfangen; und somit war sie in Abraham dem Zehnten unterworfen als bedürftig der Heilung. Denn sie stammte von Abraham nicht allein „der körperlichen Substanz nach“ ab, sondern auf Grund der wirkend zeugenden Kraft. Das ist bei Christo nicht der Fall. III. Das Fleisch Christi war in den Vorvätern der Sünde unterthan gemäß der Beschaffenheit, die das Fleisch da, in den Vorvätern, thatsächlich hatte; nicht aber gemäß der Beschaffenheit, die es thatsächlich in Christo hat, der nicht in Abraham dem Zehnten unterworfen ward. IV. Das Priestertum Levis ward gemäß dem Urfprunge des Fleisches fortgepflanzt. Also war es nicht minder in Abraham wie in Levi. Daraus also daß Abraham dem Melchisedech den Zehnten gab als dem höheren wird gezeigt, das Priestertum des Melchisedech sei, insoweit es Christum figürlich vorstellt, höher wie das Levitische Priestertum. Das Priestertum Christi aber folgt nicht dem Ursprünge des Fleisches, sondern der geistigen Gnade. Und deshalb kann ganz wohl der Vater einem Priester den Zehnten geben wie der geringere dem größeren; und doch ist der Sohn, wenn dieser Papst ist, höher wie dieser Priester, aber nicht gemäß dem Ursprünge des Fleisches, sondern gemäß der geistigen Gnade, die Christus ihm gegeben.