Dritter Artikel. Die Darstellung Jesu im Tempel.
a) Dieselbe war nicht zulassig. Denn: I. Exod. 13. heißt es: „Opfere mir alle Erstgeburt, was den Mutterleib öffnet, in Israel.“ Christus aber ging aus dem Mutterleibe hervor, ohne daß dieser sich öffnete. II. Die menschliche Natur in Christo war Gott immer gegenwärtig; also brauchte sie nicht dargestellt zu werden. III. Christus selber ist die hauptsächlichste Opfergabe, von der alle anderen nur Figuren sind. Also giebt es für Ihn keine andere. IV. Unter den Opfergaben die vorzüglichste war das Lamm, welches ohne Unterbrechung alle Tage zur bestimmten Zeit geschlachtet wurde. Christus aber war das wahre „Lamm Gottes“, nach Joh. 1. Also mußte für Ihn vielmehr ein Lamm dargebracht werden. Auf der anderen Seite steht die Schrift, nach Luk. 2.
b) Ich antworte, daß Christus dem Gesetze unterworfen sein wollte, „damit er jene, welche unter dem Gesetze ohne ihren Willen waren, erlöste“ und damit die Rechtfertigung des Gesetzes in seinen Gliedern geistigerweise erfüllt würde. Nun bestimmt das Gesetz Zweifaches betreffs eines neugeborenen Kindes: 1. Alle Kinder umfaßte jene Gesetzesbestimmung, nach der für jedes Kind nach den Tagen der Reinigung ein Opfer gebracht werden mußte. Dieses Opfer diente einerseits zur Sühnung der Sünde, in welcher das Kind empfangen und geboren war, und andererseits enthielt es eine gewisse Weihe zum Dienste Gottes, weil das Kind da zuerst im Tempel dargestellt wurde. Deshalb wurde etwas als Vollopfer, Holokaust, geopfert; und etwas für die Sünde. 2. Eine andere Gesetzesbestimmung umfaßte nur die erstgeborenen, sowohl beim Menschen wie beim Viehe. Denn der Herr hatte Sich die Erstgeburt vorbehalten, weil Er um Israel zu befreien „geschlagen hatte die Erstgeburten Ägyptens vom Menschen bis zum Viehe“. Darin war nun eine Figur Christi enthalten, der da ist „der Erstgeborene unter vielen Brüdern“ (Röm. 8.). Diesen beiden Bestimmungen also wurde am Knaben Jesus genügt. Denn „sie stellten Ihn zuerst in Jerusalem dem Herrn dar, wie geschrieben steht im Gesetze, daß alles Männliche, was denMutterleib öffnet, als etwas dem Herrn Geheiligtes bezeichnet werden soll“. Und dann erfüllten sie, was sich auf alle Kinder erstreckte: „Damit sie gäben die Opfergabe, gemäß dem Gesetze: ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben.“
c) I. Darauf antwortet Nyssenus: „Jene Gesetzesvorschrift wird beim fleischgewordenen Gotte in einzig dastehender und von allen anderen verschiedener Weise erfüllt. Denn Er allein, in unaussprechlicher und unbegreiflicher Weise empfangen, hat den Schoß der Jungfrau, der vorher durch kein eheliches Band erschlossen worden war, so verlassen, daß das Siegel der heiligen Jungfrauschaft nach der Geburt unverletzt blieb.“ „Was den Mutterschoß öffnet,“ heißt also hier, daß nichts vorher da eingetreten oder ausgetreten war; und „das Männliche“ will sagen, daß der Herr nichts vom Weibischen der Schuld an Sich hatte; in einzig dastehender Weise ist Er „heilig“, „weil Er die Ansteckung vom irdischen Schmutze bei der Geburt aus der Jungfrau nicht fühlte“ (Ambr. zu Luk. 2.). II. Wie der Sohn Gottes nicht Seinetwegen Mensch geworden ist, sterben und beschnitten werden wollte, sondern damit Er uns durch die Gnade zu Gott erhebe und wir geistigerweise beschnitten würden; so wird Er auch unsertwegen Gott dargestellt, damit wir lernen, uns Gott aufzuopfern; und um zu zeigen, daß nur wer in sich die Laster beschneidet würdig erscheint des Anblickes von seiten Gottes. III. Deshalb eben wollte Er, daß für Ihn selber die Opfergaben des Gesetzes dargebracht würden, der da das wahre Opferlamm war, damit die Figur mit der Wahrheit verbunden und durch die Wahrheit die Figur gebilligt werde, gegen den Irrtum jener, die da meinen, nicht derselbe Gott, der das Gesetz gegeben, sei von Christo gepredigt worden. „Denn man darf nicht meinen,“ so Origenes (hom. 14. in Luc.), „daß der gute Gott seinen Sohn hat Mensch werden lassen unter dem Gesetze seines Feindes, das Er selber nämlich nicht gegeben.“ IV. Lev. 12. wird denen, die es können, vorgeschrieben, ein Lamm darzubringen; die ärmeren sollten die geringeren Gaben opfern. Der Herr also, „der, da Er reich war, für uns arm geworden ist, damit wir durch seine Armut reich würden,“ wollte, daß man für Ihn das Opfer der armen darbringe, wie Er auch in einer Krippe geboren werden wollte. Jedoch lassen sich die genannten Opfergaben auch figürlich erklären. Denn die Turteltaube, ein geschwätziger Vogel, bezeichnet die Predigt und das Bekenntnis des Glaubens; und, weil es ein keusches Tier ist, zugleich die Keuschheit; weil es die Einsamkeit liebt, die Betrachtung. Die Taube drückt aus die Sanftmut und Einfalt; und weil es ein Tier ist, was in Herden zusammen lebt, drückt es aus das thätige Leben. Also dergleichen Gaben bezeichneten die Vollkommenheit Christi und seiner Glieder. Beide Tiere haben die Gewohnheit, zu seufzen, und bezeichnen so die Trauer der heiligen; und zwar so, daß die Turteltaube, die einsam lebt, das einsame Gebet; die Taube aber, die in Herden lebt, das öffentliche Gebet der Kirche veranschaulicht. Und jedes von beiden Tieren wird in zwei Exemplaren dargebracht, weil heilig sein soll der Leib und die Seele.