Sechster Artikel. Die Kinder erlangen durch die Taufe die Gnade und die Tugenden.
a) Dem scheint nicht so. Denn: I. Die Gnade und Tugenden werden nicht erlangt ohne den Glauben und die Liebe. „Der Glaube aber besteht,“ nach Augustin (de praed. Sanctor. 5.) „im Willen der gläubigen;“ und auch die heilige Liebe besteht im Willen, dessen Gebrauch die Kinder nicht haben. Und somit haben die getauften Kinder keine Gnade und keine Tugenden. II. Zu Joh. 14. (majora horum faciet) erklärt Augustin (tract. 72. in Joan.): „Daß aus dem gottlosen ein gerechter wird, das macht Gott in ihm, nicht aber ohne ihn.“ Das Kind aber wirkt nicht mit zu seiner Rechtfertigung, vielmehr wehrt es sich manchmal nach Möglichkeit. Also wird es nicht gerechtfertigt durch Gnade und Tugenden. III. Röm. 4. heißt es: „Dem, der nicht wirkt, glaubt aber an den, der da rechtfertigt den gottlosen, wird der Glaube selber zur Gerechtigkeit angerechnet gemäß dem Vornehmen der Gnade Gottes.“ Das Kind aber glaubt nicht an den, der den gottlosen rechtfertigt. IV. Manchmal werden die Kinder zur Taufe gebracht, damit sie dieGesundheit des Leibes erlangen. Also erhalten sie dann keine geistige Wirkung. Auf der anderen Seite sagt Augustin (Enchir. 52.): „Die kleinen sterben durch die Wiedergeburt ab jener Sünde, die sie durch die Geburt in sich aufnahmen. Deshalb heißt es auch von ihnen: Begraben sind wir mit Ihm bis in den Tod.“ Und gleich darauf: „Damit, wie Christus auferstanden ist von den toten, auch wir in einem neuen Leben wandeln.“ Das neue Leben aber gründet sich auf die Gnade und die Tugenden. Also erlangen die Kinder durch die Taufe Gnade und Tugenden.
b) Ich antworte; es gab deren, die da meinten, den Kindern werde in der Taufe einzig und allein der sakramentale Charakter eingeprägt ohne Gnade und Tugenden; diese erhielten sie erst wenn sie zum Alter der Unterscheidung gelangten. Doch dies ist durchaus falsch. Denn alle getauften werden 1. Glieder Christi; und also müssen sie vom Haupte her in sich aufnehmen den Einfluß von Gnade und Tugend. 2. Die so getauften Kinder würden, wenn sie stürben, nicht zur Anschauung Gottes gelangen, nämlich zum ewigen Leben; da „das ewige Leben ist die Gnade Gottes“ (Röm. 6.); und so würde die Taufe ihnen nichts nützen. Die Ursache des Irrtums aber bestand darin, daß diese Autoren nicht unterscheiden konnten zwischen Zustand und Thätigkeit. Weil nämlich jene Kinder nicht die Thätigkeit ausüben können, welche der Gnade und der Tugend entspricht, meinten sie, dieselben ermangelten ganz und gar der Tugenden. Jedoch kommt diese Unfähigkeit, geistig thätig zu sein, nicht von dem Mangel an jenen Zuständen, sondern von einem körperlichen Hindernisie. So behalten auch die schlafenden den Zustand der Tugend, können aber nicht infolge dieses körperlichen Hindernisses dementsprechend thätig sein.
c) I. Der Glaube und die Liebe bestehen im Willen der Menschen; jedoch so, daß die Zustände dieser und anderer Tugenden des Willensvermögen erfordern, das in den Kindern sich findet; die Thätigkeiten oder Akte derselben dagegen die Willensthätigkeit, welche nicht in den Kindern ist. Und danach schreibt Augustin: „Den kleinen macht zwar noch nicht jener Glaube gerecht, der im thatsächlichen Wollen der gläubigen besteht; jedoch thut dies bereits das Sakrament des Glaubens,“ nämlich dem Zustande des Glaubens nach. II. Das Wort Augustins (de carit.), daß „niemand außer er wolle wiedergeboren wird aus dem Wasser und dem heiligen Geiste“, gilt nur von den erwachsenen; ebenso daß niemand ohne ihn selbst von Christo gerechtfertigt wird. Daß manchmal die Kinder aber sich nach Möglichkeit widersetzen, geschieht „weil sie in so hohem Grade nicht wissen was sie thun, daß sie es auch nicht zu thun scheinen“ (Aug. ep. 287. ad Daardanum). III. Wie Augustin (serm. 10. de verb. ap.) sagt, „bequemt die Kirche den Bedürfnissen der kleinen an die Füsse von anderen, damit sie kommen; das Herz von anderen, damit sie glauben; die Zunge von anderen, damit sie bekennen.“ Und so glauben die Kinder durch den Glauben der Kirche, der ihnen mitgeteilt wird; und kraft dieses Glaubens erlangen sie Gnade und Tugenden. IV. Die fleischliche Absicht der Eltern schadet nichts den Kindern. Deshalb schreibt Augustin (ep. 98. ad Bonif.): „Auch daran magst du keinen Anstoß nehmen, daß manche nicht in der gläubigen Absicht die kleinen zur Taufe tragen, damit diese durch die geistige Gnade zum ewigen Lebenwiedergeboren werden, sondern die Taufe für ein Heilmittel halten gegen körperliches Übel; denn nicht dadurch wird deren geistige Wiedergeburt gehindert, daß sie nicht in der wahren, rechten Absicht zur Taufe dargeboten werden.“
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