Zweiter Artikel. Zum Nachlasse der läßlichen Sünden wird nicht erfordert das Einflößen von Gnade.
a) Dies wird erfordert. Denn: I. Die Wirkung kann nicht bestehen ohne die eigens entsprechende Ursache. Die eigens entsprechende Ursache für den Nachlaß der Sünden aber ist die Gnade; nach Ephes. 2.: „Da wir gestorben waren den Sünden, hat Er uns das Leben gegeben in Christo, durch dessen Gnade wir gerettet sind.“ II. Die läßlichen Sünden werden nicht nachgelassen ohne Reue oder Buße; dazu aber gehört Gnade. III. Die läßliche Sünde läßt eine Makel zurück. Diese aber schwindet nur kraft der Gnade, die da ist der Glanz und die Schönheit der Seele. Aus der anderen Seite nimmt die läßliche Sünde die Gnade nicht fort, sondern vermindert nur dieselbe, nach II., II. Kap. 24, Art. 10. Also gehört zu deren Nachlassen kein besonderes Einflößen von Gnade.
b) Ich antworte; es wird Jegliches fortgenommen durch das ihm Entgegengesetzte. Die läßliche Sünde aber hat keinen Gegensatz zum Zustande der Gnade und der heiligen Liebe, sondern hält nur die Thätigkeit eines solchen Zustandes auf; insoweit in derselben der Mensch, zu viel dem geschaffenen Gute anhängt, wenn auch nicht geradezu gegen Gott (l., II. Kap. 88, Art. 1.). Also wird zum Nachlasse der läßlichen Sünde nicht erfordert das Einflößen irgend welchen Zustandes der Gnade; sondern es genügt ein vorübergehendes Einwirken der Gnade oder der Liebe, damit sie nachgelassen werde. Weil jedoch bei erwachsenen, in denen allein eine läßliche Sünde sich finden kann, kein Einflößen von Gnade statthat ohne thatsächliche Bewegung des freien Willens zu Gott hin und gegen die Sünde; deshalb werden, so oft von neuem Gnade eingeflößt wird, die läßlichen Sünden nachgelassen.
c) I. Auch der Nachlaß der läßlichen Sünden ist eine Wirkung der Gnade; kraft der Thätigkeit, des Aktes nämlich, der von der Gnade kommt, nicht jedoch wegen eines von neuem der Seele eingeflößten Zustandes. II. Ein gewisser Bußakt, mag er auch der Kraft nach in dem Akte einer anderen Tugend enthalten sein, ist immer notwendig für den Nachlaß der läßlichen Sünde. Jedoch ist dazu nicht notwendig das Sakrament der Buße, welches sich vollendet der Form nach in der Lossprechung seitens des Priesters. Nun hat ein Einflößen der Grmde in der Weise eines Zustandes wohl statt in jedem Sakramente; nicht aber in jedem Tugendakte. III. Im Körperlichen kann eine Makel oder ein Flecken sich finden, 1. rein aus Mangel an der gehörigen Schönheit; und dann 2. dadurch daß positiv etwas Staub oder Ähnliches, was hinzutritt, den Glanz der Schönheit nicht klar hervortreten läßt. So wird der Todsünde geschuldet der Flecken der Seele, weil sie ganz und gar der Schönheit der Gnade beraubt; der läßlichen Sünde, weil sie wegen ungeregelter Hinneigung zu etwas Zeitlichem diese Schönheit nicht klar hervortreten läßt. Zum Nachlasse der Todsünde also gehört neues Einflößen des Zustandes der Gnade oder der geistigm Schönheit; zum Nachlasse der läßlichen wird erfordert ein aus der Gnade hervorgehender Akt, der hinwegnimmt die ungeregelte Anhänglichkeit an das Zettliche.
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