Vierter Artikel. Im Engel ist keine „einwirkende“ und keine „mögliche“ oder bloß erkennende Vernunft.
a) Dies scheint unrichtig zu sein. Denn: I. Aristoteles sagt (3. de anima), in jeder Natur sei ein Element, wodurch die Natur entsprechend etwas wird, ein Maßstab für das Geschehen; und es sei daneben ein anderes Element, wodurch diese selbe Natur in entsprechender Weise etwas, respektive alles, was ihr gebührt, thut. Dies muß also auch im Engel der Fall sein. Also ist in ihm eine einwirkende Vernunftkraft, wodurch der Gegenstand erkennbar wird; und es ist eine mögliche oder leidende Vernunft, wodurch diese letztere thatsächlich erkennt. II. Empfangen ist eigen der möglichen Vernunft; erleuchten ist eigen der einwirkenden Vernunft (3. de anima). Der Engel aber empfängt von einem höheren Engel und erleuchtet den niedrigeren. Auf der anderen Seite besteht in uns eine „einwirkende“ Vernunft und eine „mögliche“ thatsächlich erkennende auf Grund unseres Verhältnisses zu den Phantasiebildern. Diese beziehen sich auf die mögliche Vernunft wie die Farben auf die Sehkraft und auf die einwirkende wie die Farben zum Lichte, das da seinerseits die Farben erst zu Farben, d. h. zu etwas Sichtbarem macht. Die Engel aber haben keine Phantasiebilder. Also besteht in ihnen der genannte Unterschied nicht.
b) Ich antworte; für uns mußte eine mögliche, d. h. eine zur thatsächlich erkennenden erst werdende Vernunft angenommen werden, weil wir bald thatsächlich erkennen bald nur im Vermögen sind für das Erkennen. Also mußte eine Kraft angesetzt werden, welche das Vermögen hat zu erkennen, bevor sie wirklich erkennt; und die thatsächlich erkennt, wenn sie etwas weiß und noch mehr, wenn sie etwas betrachtet und erwägt. Und dieses Vermögen nennt man mögliche Vernunft. Die Notwendigkeit aber, eine einwirkende Vernunft anzunehmen, lag deshalb vor, weil die inneren Naturen der einzelnen stofflichen Dinge, welch letztere als solche, nämlich als stofflich einzelne, nicht vernünftig aufgefaßt werden können, außen kein stoffloses und deshalb vernünftig erkennbares Für-sich-bestehen dem thatsächlichen Sein nach haben; sondern, soweit sie außerhalb der erkennenden Seele sind, nur das Vermögen besitzen, erkennbar zu sein. Deshalb muß eine einwirkende Vernunftkraft existieren, welche diese Naturen als thatsächlich erkennbare in ihrer Allgemeinheit hinstellt. Die Engel erkennen jedoch immer thatsächlich, wenigstens rücksichtlich dessen, was sie als Gegenstand ihrer natürlichen Kenntnis vor sich haben; nie sind sie mit Rücksicht darauf nur im Zustande des Vermögens, etwas zu erkennen. Ihr Gegenstand ist auch an sich stofflos; denn sie erkennen an erster leitender Stelle nur, was als Stoffloses Existenz hat. Also ist in ihnen kein einwirkender und kein möglicher Verstand.
c) I. Jene zwei Elemente sind, wie Aristoteles ausdrücklich sagt, nur in einer jeden solcher Naturen, die dem Werden, also dem Entstehen und Vergehen zugänglich sind. In den Engeln aber entsteht das Wissen nicht; es wird nicht von den sichtbaren einzelnen Dingen aus in ihnen erzeugt, sondern gleich von Natur haben sie es. II. Der einwirkende Verstand erhellt nicht denjenigen, welcher erkennt, sondern macht thatsächlich zu erkennbaren die einzelnen stofflichen Dige als Gegenstände des Wissens, indem er sie loslöst von den Einzelbestimmungen. Ebenso ist die mögliche Vernunft im Zustande des Vermögens rücksichtlich ihrer natürlichen Erkenntnisgegenstände. Ein Engel aber erleuchtet den anderen als einen bereits thatsächlich erkennenden; und sie werden erleuchtet mit Rücksicht auf die übernatürlichen Geheimnisse. Das hat aber nichts zu thun mit dem Wesen der einwirkenden und möglichen Vernunft, sondern nur höchstens mit den Namen.
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