Zweiter Artikel. Die Engel erkennen nicht vermittelst solcher Erkenntnisformen oder Ideen, welche sie von den Dingen empfangen.
a) Dem scheint nicht so. Denn: I. Wenn ein Ding erkannt wird, so wird es vermittelst einer Ähnlichkeit mit ihm erkannt. Diese nun ist entweder die Exemplaridee und somit die Ursache des betreffenden Dinges; oder sie ist ein Bild vom Dinge und somit geht sie dann vom Dinge aus. Das erste ist nicht möglich; denn nur Gottes Wissen ist die Ursache der Dinge. Also sind die Ideen in den Engeln Bilder der betreffenden einzelnen Dinge und gehen von diesen aus. II. Das geistige Licht des Engels ist stärker wie das im Menschen. Letzteres aber ist mächtig genug, vermittelst der einwirkenden Vernunft die Ideen loszuschälen von den einzelnen Dingen. Also kann dies auch die Vernunft im Engel. III. Die Ideen der Dinge verhalten sich, da sie in sich allgemein sind, gleichgültig und indifferent zu Gegenwärtigem und Entferntem und haben nur Beziehung dazu, soweit sie von den sichtbaren Dingen kommen. Empfangen also die Engel nicht von den Dingen, so sind sie indifferent für Gegenwärtiges und Entferntes und besitzen demnach keine Bewegung von Ort zu Ort. Auf der anderen Seite sagt Dionysius (7. de div. nom.): „Die Engel sammeln sich ihre gottähnliche Kenntnis nicht von den teilbaren und sichtbaren Dingen her.“
b) Ich antworte, die Erkenntnisformen oder Ideen, vermittelst deren die Engel verstehen, sind nicht von den Dingen her empfangen, sondern mit der Engelnatur gegeben. Denn so muß man den Unterschied auffassen in den geistig erkennenden Substanzen wie Unterschied und Ordnung in den körperlichen sich findet. In letzteren aber ist es so, daß die höheren Körper, die Sterne, ganz und gar gemäß dem Vermögen ihrer Natur kraft einer einzigen Form durchaus vollendet und bethätigt sind; die niedrigeren aber haben ein dergestaltetes Vermögen in ihrem Stoffe, daß sie nun die eine Form von der einwirkenden Ursache empfangen nun die andere. So sind nun auch die höheren geistigen Substanzen in ihrer Fähigkeit für das Erkennen von Anfang an vermittelst der von Natur gegebenen Erkenntnisformen oder Ideen vollendet und können somit von Natur ein für allemal alles erkennen, worauf sich ihre natürliche Kraft erstreckt. In den niedrigeren geistigen Substanzen aber, den menschlichen Seelen, geschieht die Vollendung nach und nach, indem ihr Vermögen zu erkennen bald durch diese bald durch jene Form vollendet und bethätigt wird. Das geht auch aus der Art und Weise des entsprechenden Seins hervor. Denn die menschlichen Seelen haben ein mit dem Körper von Natur aus verbundenes Sein, sind sie doch Wesensformen eines Körpers und demgemäß erkennen sie auch geistig mit Hilfe des Körperlichen; sonst wäre ihre Verbindung mit dem Körper zwecklos. Die Substanz der Engel aber ist durchaus losgelöst und ganz und gar frei vom Körperlichen; stofflos bestehen sie in sich selbst. Also erhalten sie auch ihre geistige Vollendung nicht mit Hilfe des Stoffes, sondern geistiger-, stoffloserweise; — derselbe Gott, der ihnen die geistige Natur giebt, verleiht damit zugleich auch die Erkenntnisformen oder Ideen. Deshalb sagt Augustin (2. super Gen. ad litt. c. 8.), alle Dinge, welche tiefer stehen als die Engel, seien so verursacht, daß sie zuerst in der Kenntnis der geistigen Substanz entstehen und dann in ihrer Natur.
c) I. Gott verleiht den Engeln die Ideen, vermittelst deren sie die Dinge erkennen; Gottes Wissen aber ist die Ursache der Dinge und hat in sich die Exemplarideen der Dinge. Deshalb sagt Augustin (l. c.): „Wie der Seinsgrund, welcher die Bildung einer Kreatur leitet, früher im Worte Gottes ist als die betreffende Kreatur wirklich existiert; so ist auch die Kenntnis dieses selben Seinsgrundes früher in der rein geistigen, also durch und durch erkennenden Natur und dann erst vollzieht sich das subjektive Werden der Kreatur selber.“ II. Von dem einen Endpunkte gelangt man zum anderen nur durch das Dazwischenliegende. Soweit aber eine Erkenntnisform oder Idee in der Einbildungskraft ist, wird sie als das angesehen, was zwischen der stofflichen Form, wie sie außen einzeln besteht, existiert, und der rein vernünftigen allgemeinen Form in der Vernunft. Denn sie ist in der Einbildungskraft zwar nicht ohne Stoff, aber doch ohne die Einzelheiten des Stoffes; wie z. B. warm, kalt, bitter, süß. Also könnte der Engel, so mächtig seine Vernunft auch ist, die stofflichen Wesenheiten nicht loslösen von ihrer stofflichen Existenzweise, wenn er sie nicht früher zu Formen in der Einbildungskraft machte. Das aber ist unmöglich, weil der Engel keine Einbildungskraft hat. (Kap. 54, Art. 5.) Zudem bedarf er einer solchen Losschälung nicht, da ihm die Ideen zur Kenntnis der Dinge mit der Natur gegeben sind. III. Die Kenntnis verhält sich im Engel ganz gleicherweise, ist völlig indifferent zu Gegenwärtigem und Entferntem. Und trotzdem hat er Bewegung von Ort zu Ort. Denn er besitzt diese letztere nicht, um von den Dingen Kenntnis zu empfangen; sondern um in einem Orte etwas zu wirken.
