Sechszigstes Kapitel. Über die Liebe, welche die Engel haben. Überleitung.
„Mein Herz und mein Fleisch haben gejubelt zum lebendigen Gotte.“ (Ps. 89.) Der Psalmist bekennt die nämliche Lehre, wie sie der heilige Thomas vorträgt. Für das Fleisch hat Gott die Ruhestätte und Vollendung bereitet in der geistigen Substanz. Er selber konnte nicht die unmittelbare Ruhestätte und Vollendung für die Entwicklung des Stoffes sein. Denn der Stoff sucht seiner Natur nach sein Gut und seine Vollendung immer außen; er kann sie gar nicht in sich haben; er hat keine innerliche, in ihm selber endende Thätigkeit, wie dies der Vernunft und dem Willen eignet. Gott aber schauen heißt Gott in sich selber aufnehmen und besitzen. Wo also Gott selber das unmittelbare Gut ist, da kann man nichts mehr außen suchen. Der Mensch kann die schließliche Ruhe und Vollendung dem Stoffe auch nicht geben trotz seiner Vernunft. Denn da seine Substanz selber keine stofflose ist, so kann sie an sich als Substanz betrachtet, auch kein Princip für das geistige Erkennen des einzeln Stofflichen sein. Nur wer schon kraft seiner Substanz, die ja immer eine einzelne ist, geistig erkennt, der kann das Einzelne als solches im Stofflichen erkennen und nicht bloß das Allgemeine. Der Stoff also als solcher, gerade als Princip des Einzelnen und Besonderen, bleibt für die menschliche Vernunft dunkel; in ihr kann er seine Ruhe und sein Wohl nicht finden. Die Engelsubstanz aber verneint dies alles. Sie beherrscht den Stoff. Sie selber ist nicht die schließliche Vollendung ihrer selbst; sie hat dieselbe außen. Aber die wirkende Kraft, die ihr zu Gebote steht, ist unmittelbar bestimmt durch das Allgut, durch die Allvollendung. Gott selber lehrt den Engel das Einzelne als solches zu durchdringen. Durch die geistige Substanz also kann das „Fleisch“ einziehen zu unendlichem Jubel, zur höchstmöglichen Verbindung und Vereinigung mit dem lebendigen Gotte. Aber das „Herz“ soll auch jubeln. Für unseren Geist und für den Geist der Engel ist die Frage die nämliche. Wo haben wir unser Wohl, unsere endliche Vollendung zu erblicken? Nicht für den Stoff ist der Geist gemacht; sondern umgekehrt. Der Stoff für den Geist. Was findet der Engel für ein Gut im Stoffe, in der ganzen Natur? Wozu treibt den Engel die ganze Natur, so wie er in ihr wirkt, so wie er sie beherrscht? Nicht in ihr ist sein Gut. Nicht in ihm selber ist es. Die ganze Natur sagt dem Geiste: Es giebt kein Endwohl für dich in der Natur; du kannst beitragen zum Endwohle der Natur; du kannst sogar es sein in gewisser Weise; aber dein Endwohl ist da nicht zu suchen. „Der Sperling findet in der Natur sein Heim; und die Turteltaube ihr Nest.“ Für uns aber gilt es ebenso wie für die Engel: „Deine Altäre, Herr aller Gewalten; mein König und mein Herr;“ das ist unser Heim. Wir können, wenn die ganze Natur vor unserem Auge vorübergegangen, nur die Hände ausstrecken und flehen: „Unser Schützer blicke uns an, o Gott; in Deinen Vorhöfen ein Tag, das ist besser wie tausendfach Anderes; selig aber, die da wohnen in Deinem Hause; in die Ewigkeit der Ewigkeiten hinein werden sie Dich loben.“ Die ganze Natur treibt den Engelgeist von sich hinweg und er liebt deshalb nur um so mehr den Urheber der Natur. Er liebt ihn; denn seine eigene Natur treibt ohne Fleischesbürde und ohne Schwierigkeit, offen mit voller Kenntnis; — sie treibt ihn zu ihrer Quelle zurück, um da die Vollendung zu suchen, von wo der Beginn gekommen. Der Engel liebt Gott; denn sein natürliches Wirken mitten in den Stoff hinein, seine Ideenbilder von den anderen Kreaturen, zeigen ihm Gott als das Wohl und als das Gut des Ganzen. Wenn aber schon hier unter uns es häufig ist, daß jemand Opfer bringt, sein Leben manchmal einsetzt zum Heile des ganzen Vaterlandes; wenn hier der Arm dem Auge zu Hilfe kommt, damit das Wohl des Ganzen, nämlich des Leibes gewahrt bleibe; — wie wird da nicht der Engel Gott lieben, von dem nicht bloß das Heil eines Landes oder Volkes, sondern des All im weitesten Sinne des Wortes abhängt. Der Engel liebt sodann Gott, weil Gott ihm so ähnlich ist. Gottes Bild trägt ja der Engel im erhabensten Sinne. Stofflos, mächtig, weise ist er von Natur; und nicht bloß in seiner Thätigkeit nach vieler Mühe. Er ist es, ohne jemals darin einen Verlust oder eine Schwächung leiden zu können. Wie treibt so die Dankbarkeit seine Natur zu Gott! Wie die Liebe, die Gott ihm noch obendrein giebt! Und wie noch dazu die Sehnsucht seiner weiten vollen Natur nach Glück! So liebt aber auch der Engel seine Mitengel notwendig kraft seiner Natur. Denn sie sind Kreaturen seines Gottes; und Gott selber hat ihm vollglänzende Ähnlichkeiten derselben eingeprägt. „Lieben“ heißt Gutes wollen. Der Engel liebt notwendig Gott von Natur; und deshalb will er Gutes allen Geschöpfen, wie dies Gott selber will. „Wie liebt der niedrigere Engel einen höheren?“ fragt der seraphische Lehrer; und er antwortet: „Mehr liebt er ihn als alle anderen; ohne Mißgunst wünscht er ihm alle Vollkommenheiten, mit denen Gott ihn geziert.“ (II. dist. art. 3. qu. 3.) So wird die Liebe im Engel nirgendwoher gestört. Denn eben Gott, die Liebe selbst, ist ihre einzige Regel und Richtschnur; nur Gott liebt sie überall. Deshalb aber verbreitet sie auch ohne Hindernis bereits in den natürlichen Kräften des Engels reichen Frieden und vollen Jubel. Der Engel ruft mit vollem Herzen in seinem Namen und im Namen des Stoffes, den er beherrscht und dessen Wohl er ist, aus: „Mein Herz und mein Fleisch haben gejubelt zum lebendigen Gotte.“
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