Sechsundsechzigste Kapitel. Die Beziehung des Erschaffens zu der des Scheidens. Überleitung.
„Von allen diesen Bäumen könnt ihr essen.“ (Gen. 1.) Wie viele Kreaturen hat Gott uns in seiner Freigebigkeit gegeben! Wie große, wie herrliche! Wie ein aufgeschlagenes Bilderbuch liegt die sichtbare Schöpfung vor. Aus jedem Bilde strahlt uns der Schöpfer und unser Heil entgegen. Wie ein Wald von stolzen Bäumen ist sie; von jedem Baume herab lacht uns eine Frucht; lacht uns Nahrung für ewiges Leben entgegen! „Diese Welt,“ so Ambrosius, „ist eine Probe der Thätigkeit Gottes, das Werk wird gesehen und der Werkmeister wird gepriesen.“ (1 Hexaëm. c. 7.) „Mensch,“ ermahnt der heilige Chrysologus, „warum erscheinst du dir selbst so verächtlich, der du so kostbar bist in den Augen Gottes? Warum verunehrst du dich selbst, der du so sehr geehrt wirst von Gott? Du fragst, woher du kommst, wer dich gemacht hat und kümmerst dich nicht darum, wozu du geschaffen bist? Ist denn nicht dieser ganze Weltpalast, den du siehst, für dich gemacht? Für dich stießt das Licht aus und zerstreut die ringsum lagernden Finsternisse; für dich ist angeordnet die Nacht; für dich ist abgemessen der Tag. Dir leuchtet die Sonne und von ihr verschieden im Glanze strahlt dir der Mond. Für dich ist die Erde mit Blüten geschmückt, mit Hainen und Früchten. Für dich ist geschaffen die in wunderbarer Verschiedenheit glänzende Tierwelt: Der Vogel in der Luft, der Vierfüßler auf Erden, der Fisch im Wasser, daß nicht die Freude an der neuen Welt durch die Einsamkeit vermindert würde! Und dazu hat dich, der du von der Erde genommen bist, Gott nicht so den irdischen Dingen gleichgestellt, daß Er dich nicht bis zum Himmel erhoben hätte, und du nicht Vernunft hättest ähnlich wie Gott deren hat! Einen Leib hat Er dir gegeben wie den Rindern; eine Seele verlieh Er dir vom Himmel; den Körper nahm Er von der Erde, auf daß in dir der Himmel mit der Erde verbunden sei und die Eintracht in all ihrer Thätigkeit gewahrt bleibe.“ (Sermo. 145.) Und alle diese Geschöpfe sind dir gegeben, o Mensch, nicht als ob sie etwa dein Zweck wären; nur als ein Mittel und zwar als ein leicht zugängliches Mittel stehen sie da. Nicht genießen sollst du sie nur gebrauchen. Denn Höheres ist dir aufbehalten zum Genusse. „Von allen diesen Bäumen wirst du essen; aber von dem in der Mitte stehenden wirst du nicht essen.“ Nicht sollst du dein ganzes Gut in dieser Welt finden. Der Mittelpunkt aller Güter ist nicht in ihr; dessen Genuß bietet dir die sichtbare Welt nicht. Vom Himmel fängt die Erschaffung an, auf daß du dahin dein Auge richtest, dahin deine Neigung wendest und „daß dein Herz da hänge, wo die wahren Freuden sind“. So wirst du größer sein als der Himmel; über ihn hinwegsteigen wirft du zu dem, der ihn und dich geschaffen und dir im „Vater des Glaubens“ gesagt hat: „Ich selbst werde dein überaus großer Lohn sein.“ Heller wirst du sein wie die Sonne; wenn die Strahlen der Tugenden dich erleuchten und du nicht zuläßt, daß dich der Laster Nacht in Dunkel einhülle. Leuchtender wirst du sein, beharrlicher im Leuchten wie der Mond und keinerlei Abnahme des Lichtes wird bei dir sich geltend machen; wenn du beständig mit reinem Herzen, aufrichtiger Meinung und ungeheuchelter Liebe zu Gott hinstrebst. Strahlender werden deine Tugendakte sein wie die Sterne; wenn du dem göttlichen Lichte nichts entgegensetzest. Fruchtbarer wird dein Wirken sein wie die Pflanze; wenn das Samenkorn des Wortes Gottes und der heiligen Einsprechungen in dir aufgeht. Stärker werden deine Schwingen sein wie die des Adlers, höher dein Mut wie der des Löwen, furchtbarer wirst du sein den Feinden deiner Seele, wie die Ungetüme des Meeres; wenn du von allen „diesen Bäumen die Frucht nur nimmst“, soweit sie dir dient und nicht an sie selber dein Herz hängest. „Vom Worte Gottes kommen sie, all diese Kreaturen,“ so hat eben Thomas gelehrt. Zum Worte Gottes führen sie. Und jene Engel, die das Wort Gottes schauen, sind die Leiter ihrer Entwicklung. An sechs Tagen hat Gott die Welt geschaffen, damit wir an jedem Tage Gelegenheit haben, Gott zu preisen. Die Kirche hat das so schön in ihrem Brevier auszudrücken verstanden. In den Hymnen, welche dazu bestimmt sind, in der Nacht oder am Morgengrauen gesungen zu werden, preist sie an jedem Tage, was darin gerade geschaffen wurde. Sie freut sich am Sonntage des Lichtes und führt uns hinauf zur Betrachtung des ewigen Lichtes. Sie ehrt am Montage den Gründer des Firmamentes und lehrt uns damit die Furcht vor Gott nach dem Worte des Propheten: „Die Furcht stellte Er auf als Firmament.“ Sie bewundert am Dienstage die wunderbare Mannigfaltigkeit der Pflanzen zusammen mit ihrer Fruchtbarkeit und ermahnt uns, Frucht zu bringen in den mannigfaltigsten Tugendwerken. Sie preist am Mittwoch die Leuchten am Firmament und will, daß wir „leuchten wie Sterne an dunklem Orte, bis der göttliche Lichtbringer kommt“, uns in das himmlische Heim zu führen; die Messer der Zeit erwähnt sie, damit wir unsere Zeit benutzen; auf die immer gleichen Ursachen des Wechsels auf Erden weist sie hin, damit wir in allem diesem Wechsel immer der Ewigkeit zugewendet seien. Die Tiere des Feldes, die Vögel in der Luft, die Fische im Meere erheben das Herz der heiligen Kirche am Donnerstag zu Gott; damit wir lernen, von allen diesen Mannigfaltigkeiten das Beste für uns zu nehmen: „Mit dem Fette des Weizens hat Er uns genährt;“ „seine Speise ist alles, was kostbar ist.“ Und endlich führt sie uns am Freitage durch die größeren Tiere hindurch zur Erschaffung des Menschen: „Nach unserem Bilde und nach unserem Gleichnisse wollen wir ihn machen;“ damit wir am Samstage ausruhen im Preise Gottes. In sechs Tagen schuf Gott Himmel und Erde. Mensch! Habe Geduld, wenn es mit deinem Streben nach Vollkommenheit nicht allsogleich voran gehen will. „Die größte Geduld,“ sagt die Nachfolge Christi, „muß der Mensch mit sich selber haben.“ „Denket nicht an den folgenden Tag,“ ermahnt der Herr, „denn jeder Tag hat seine eigene Plage.“ „Der da in seinen Handlungen einer immer mehr einfachen Meinung folgt, wird Weisheit schöpfen.“ „Nicht in vielem seiest du beschäftigt, sondern was Gott genehm ist, daran denke immer.“ „Es ist früh genug,“ sagen die Sprichwörter, wann es wohl geht;“ und der Weise erinnert: „Der Reichtum, den man eilends bekommt, wird verringert werden.“ (Prov. 13, 11.) Richte nur immer auf Gott deinen Blick und auf „seine Gerechtigkeit; alles übrige wird dir zugegeben werden“. „Euch gehört nicht zu,“ sagt der Herr zu seinen ungeduldigen Jüngern, „zu wissen den Tag und die Stunde, welche der Vater bestimmt hat in seiner Vollgewalt.“ In sechs Tagen, nach und nach, wurde der Weltpalast gebaut in durchaus harmonischer Ordnung und Reihenfolge. Nach und nach steht auf in dir der Tempel des heiligen Geistes; ein Teil fügt sich allmählich an den anderen, wie Gott in seiner heiligen Vorherbestimmung dies angeordnet hat, für den einen so, für den anderen so. „In seiner Ordnung dauert an das Tageslicht.“ Da wird es wohl Abend und es wird Morgen. Da kommen wohl Trübsale und Mühen; darauf wieder lichter Trost und segensreicher Frieden. Aber Licht bleibt immerdar in der Seele. Nur Nacht lasse es nicht werden in der Seele. Nur sei nie lässig, soweit es auf dich ankommt. Lasse dich nicht abhalten, „immer zu wirken;“ werde nie Gottes Vorsehung überdrüssig. Die Kreaturen selber geben dir den Tag, in dem du wirken sollst. Nimm von ihnen das Beste: ihre Beziehung zu Gott, die Treue ihrer Natur gegen Gott, ihre Unterwürfigkeit gegen Gott. „Nicht ein Teilchen dieser guten Gabe gehe an dir nutzlos vorüber.“ Denn „deine Nahrung soll kostbar sein“. Ein Paradies der Wonne ist die Welt für dich; wenn du sie nach dem Worte Gottes, aus dem sie geschöpft worden, zu gebrauchen verstehst. „Jeglicher schöne Baum ist da, prachtvoll zu sehen, süß zum Schmecken.“ Wirke darin, behüte diese Welt in dir; daß du sie so leitest, wie ihre eigene Natur, die dir offenbar geworden, es fordert: „Iß,“ hat der Herr zu jedem von uns in der Person Adams gesagt, „von den Bäumen des Paradieses;“ aber iß davon, nicht um bei der vergänglichen Schönheit und bei vorübereilendem Genusse stehen zu bleiben, sondern um zusammen mit den heiligen Engeln all diese Natur emporzutragen zum Ewigen, zum Worte Gottes, zu ihrem Quell und zu ihrem Mittelpunkte. Nicht die Welt soll dir lehren, was gut und was böse ist; sie kann es nicht, denn jedes ihrer Güter ist beschränkt. Nein; Gott, die Wahrheit, Gott, die Allgüte, wird dich im Innern des Herzens darüber aus den Kreaturen belehren, was als gut zu scheiden ist vom Bösen. In der Mitte deines Paradieses muß als „Baum der Erkenntnis von Gutem und Bösem“ Gottes Gnade stehen; inmitten der Schöpfung findest du diesen Baum nicht: „Von dem Baume aber der Wissenschaft des Guten und Bösen in der Mitte des Paradieses sollt ihr nicht essen; sonst werdet ihr sterben.“
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