Erster Artikel. Das vernünftige Erkenntnisprincip ist die bestimmende Wesensform des menschlichen Körpers.
a) Dagegen spricht: I. 3. de anima, wo Aristoteles beweist, daß die Vernunft vom Stoffe getrennt sei und keines Körpers bethätigende und bestimmende Form. II. Jede Wesensform muß sich nach der Natur des Stoffes richten, dessen bildende Form sie ist; sonst bedürfte es keiner Rücksicht auf die Beschaffenheit des Stoffes und keines Verhältnisses zu selbem. Nun hat aber jeder Körper eine auf ganz bestimmte Verhältnisse beschränkte Natur. Also müßte die Vernunft, um bildende Form des Körpers sein zu können, ebenso eine entsprechend bestimmte Natur haben. Und so könnte sie nicht alles erkennen; zum ersten schon das nicht, was gegen diese bestimmte Natur eben ist. Das wäre aber gegen das Wesen der Vernunft. III. Wäre die Vernunft die bethätigende und bildende Form eines Körpers, so könnte sie die Erkenntnisform nur in stofflicher Weise, nämlich als eine besondere einzelne Form in sich aufnehmen; wie der Sinn dies thut. Denn sie müßte dieselbe aufnehmen gemäß dem Seinscharakter, den sie selber, die Vernunft, hat, wonach ihr natürliches Sein an den Stoff oder an einen Körper gebunden ist. Somit könnte aber die Vernunft nichts Allgemeines, Stoffliches erkennen, was offenbar den thatsächlichen Verhältnissen widerspricht. IV. Dem nämlichen Sein gehört das Vermögen und die Thätigkeit an. Die vernünftige Thätigkeit aber vollzieht sich naturgemäß ohne den Körper. Also darf auch die Vernunft als Princip oder Vermögen des Erkennens nicht die bethätigende Form eines Körpers und somit an den Körper gebunden sein. Und noch weniger darf dies der Fall sein gar mit der Substanz oder dem Wesen der Vernunft; da das Wesen immer noch weit einfacher, allgemeiner und mehr losgelöst von allen Einzelverhältnissen ist wie die entsprechenden Vermögen. V. Die vernünftige Seele hat an und für sich Sein. Also ist sie nicht im Sein eins mit dem Körper als Wesensform desselben. Denn da hätte sie nicht an und für sich Sein als Form, sondern auf Grund des Körpers, weil sie dessen bildende Form ist. VI. Was einem Dinge an und für sich innewohnt, das wohnt demselben immer inne. Jeder Wesensform aber, welche bildende und bestimmende Form eines Körpers ist, kommt dies an und für sich kraft ihres Wesens zu; denn nicht auf Grund von etwas Äußerlichem bethätigt sie den Körper, sondern sie ist wesentlich und substantiell eins mit demselben. Also kann eine solche Form nicht ohne den ihr eigenen Stoff existieren. Nun bleibt aber die vernünftige Seele als unvergänglich auch nach der Auflösung des Körpers bestehen. Also ist sie nicht bethätigende Wesensform eines Körpers. Auf der anderen Seite wird nach 8 Metaph. der wesentliche Unterschied des einen Dinges vom anderen von der Form hergenommen. Der Wesensunterschied aber des Menschen ist „vernünftig“. Also das Vernunftprincip ist die Wesensform des Menschen.
b) Ich antworte, es sei durchaus notwendig zu sagen, daß die Vernunft als Princip der vernünftigen Thätigkeit die Wesensform des Körpers sei. Denn jenes Moment, welches in erster Linie und vor allem Anderen ein Wesen befähigt und es bestimmt, daß es thätig sei, wonach also alle anderen Einflüsse, die später sich geltend machen können, geregelt werden; das ist unzweifelhaft die bildende Form dessen, was da wirkt und dem die Thätigkeit zugeschrieben wird. So ist es z. B. die Gesundheit, wodurch zu allererst der Körper als gesund bezeichnet wird und wodurch alle anderen Einflüsse, wie Luft, Speise, Bewegung geregelt werden; kraft dessen ähnlich in erster Linie die Seele etwas weiß, das ist die Wissenschaft; — somit ist die Gesundheit die Form des Körpers im allgemeinen und die Wissenschaft ist gewissermaßen die Form der Seele. Und davon besteht der Grund darin, daß nichts thätig ist, außer insoweit es thatsächliches Sein hat. Wodurch also etwas thatsächliches Sein hat, vermittelst dessen ist es thätig. Nun ist offenbar das Erste, vermittelst dessen der Körper Leben hat, die Seele. Und da das Leben verschiedenen Stufen gemäß sich offenbart, so ist die Seele jenes Moment, wodurch in erster Linie das lebende Wesen gemäß der ihm eigenen Seinsstufe thätig ist. Denn die Seele ist für uns das Princip, wodurch wir uns nähren, empfinden, von Ort zu Drt uns bewegen und zu allererst, wodurch wir geistig erkennen. Dieses Princip also, wodurch wir in erster Linie geistig erkennen und wonach sich dann alle anderen Einflüsse richten, ist die Vernunft oder die vernünftige Seele. Und dies ist der Beweis des Aristoteles. (2. de anima.) Wollte aber jemand sagen, die vernünftige Seele sei nicht die den Körper in erster Linie bildende und bestimmende Wesensform, so muß er erklären, wie diese Thätigkeit, das geistige Erkennen nämlich, eine Thätigkeit des einzelnen Menschen sei und von ihm ausgesagt werde. Denn das erfährt jeder in sich selbst, daß er es ist, der da geistig erkennt. Es wird nun eine Thätigkeit nach Aristoteles (5 Physic.) in dreifacher Weise einem thätigen Princip zugewiesen. Denn jemand wirkt entweder als Ganzes, wie der Arzt heilt; oder vermittelst eines Teiles, wie der Mensch sieht durch das Auge; oder auf Grund der Verbindung mit anderem Sein, per accidens, wie der Musiker baut, der Baumeister nämlich, der auch die Kunst der Musik zufällig in sich hat. Daß nun Sokrates oder Plato geistig versteht, das wird nicht in letzterer Weise ausgesagt, auf Grund nämlich einer äußerlichen zufälligen Eigenschaft; denn insoweit jemand dem Wesen nach Mensch ist, gilt diese Thätigkeit vvn ihm. Entweder muß also gesagt werden, der Mensch erkenne vernünftig als Ganzes; wie Plato meint, die Seele allein sei der Mensch (1. Alcibiad.); — oder die Vernunft sei ein Teil des Menschen. Das Erste kann nicht gesagt werden, denn ganz der eine selbe Mensch erfaßt, daß er vernünftig denkt und zugleich sinnlich empfindet. Sinnliches Empfinden aber vollzieht sich nicht ohne den Körper. Also muß die Seele ein Teil des Menschen sein. Also muß die Vernunft in irgend einer Weise mit dem Körper verbunden sein. Von dieser Verbindung nun sagt Averroës (3. de anima oomment. 36.), sie geschehe vermittelst der vernünftigen Erkenntnisform, der Idee. Diese habe einen doppelten Träger. Ihr Subjekt sei nämlich einerseits die mögliche Vernunft, die etwas zu erkennen vermag; und andererseits sei die Idee getragen von den Phantasiebildern, also von stofflichen Organen. Und so würde die mögliche Vernunft, die an und für sich außerhalb des Menschen ist und für sich bestehend für alle Menschen nur eine ist, mit dem Körper dieses oder jenes Menschen verbunden vermittelst der vernünftigen Erkenntnisform, insoweit diese präcis von der Phantasie getragen wird. Daß aber eine so gestaltete Einheit und Verbindung nicht dazu genügt, um die Thätigkeit des Erkennens als eine Thätigkeit dieses bestimmten Menschen, des Sokrates, z. B. zu betrachten; das macht Aristoteles auf folgende Weise klar. Er geht von den Sinnen aus. Denn so verhalten sich die Phantasiebilder zur Vernunft, wie die Farben zum Sehen. Wie also die Farbenbilder im Auge sind, so finden sich die Phantasiebilder in der möglichen Vernunft; in jener Vernunft nämlich, der es möglich ist, zu erkennen. Nun ist es aber klar, daß nicht deshalb weil die Farben thatsächlich an der Wand sind, während die Ähnlichkeiten derselben im Sehorgan sich finden, die Thätigkeit des Sehens der Wand zugeteilt wird; denn wir sagen nicht, die Wand sehe, sondern vielmehr, sie werde gesehen. Daraus also daß die Phantasiebilder in der möglichen Vernunft wären, würde nicht folgen, daß Sokrates, in welchem die Phantasiebilder sind, erkennt, sondern daß er oder die Phantasiebilder erkannt werden, Gegenstände des Erkennens sind. Andere aber wollten, daß die Vernunft mit dem Körper verbunden sei wie der Beweger mit dem Beweglichen und daß so eine Einheit sich ergebe zwischen Leib und Seele, von der, als dem einen Menschen, die Thätigkeit des Erkennens ausgesagt werden könne. Aber das ist nach mehrfacher Seite hin grundlos. Denn: 1. Die Vernunft bewegt nur durch den begehrenden Willen; dieser aber setzt die vernünftige Auffassung voraus. Also nicht weil Sokrates von der Vernunft bewegt wird, versteht er geistig; sondern weil er versteht, wird er von seiten der Vernunft bewegt. 2. Da Sokrates als ein einzelnes Individuum dasteht, so ist die Vernunft, wenn sie nicht als bildende Wefensform in ihm sich findet, außerhalb der Natur und dem Wesen des Sokrates; und so steht die Vernunft in derselben Beziehung zum ganzen Sokrates, wie der Beweger zum Bewegten. Geistig erkennen aber ist eine Thätigkeit, die innerhalb des Erkennenden bleibt; und nicht wie das Wärmen in ein anderes äußeres Sein mündet. Also würde in diesem Falle das vernünftige Erkennen wieder nicht dem Sokrates zugeschrieben werden können. 3. Zudem wäre dann das Erkennen dem Sokrates zugehörig wie einem in Bewegung gesetzten Werkzeuge, wie das Behauen vom Meißel gilt. Das Erkennen aber geschieht ohne körperliches Werkzeug. Also könnte es nicht von Sokrates gelten oder ausgesagt werden. 4. Die Thätigkeit eines Teiles wird zwar dem Ganzen zugeschrieben, aber niemals einem anderen Teile. Wir sagen wohl, daß Sokrates sehe vermittelst des Auges; nicht aber daß die Hand oder der Fuß sehe. Wird also aus Sokrates als dem einen Teile eine Einheit mit der Vernunft als dem anderen Teile, wie aus dem Beweglichen eine Einheit wird mit dem Bewegenden, so kann man nicht von Sokrates sagen; er erkenne. Sollte aber Sokrates, das Einzelwesen, als das Ganze bezeichnet werden, welches sich aus der Verbindung der Vernunft mit den übrigen Teilen des Sokrates ergebe; und sollte damit zugleich aufrecht gehalten werden, daß die Vernunft zu diesen übrigen Teilen nur im Verhältnisse eines Bewegers stände; so würde Sokrates überhaupt keine Einheit sein auf Grund seiner Natur, sondern nur auf Grund äußerer zufälliger Einflüsse, eine Einheit, wie solche etwa aus dem Wagen und dem Kutscher hervorgeht. Sokrates wäre also dann dem natürlichen Sein nach nicht ein einiges Wesen und ohne weiteres ein Mensch, sondern mit Rücksicht auf etwas Äußerliches; denn in der nämlichen Weise wie etwas Einheit hat, so hat es Sein. Es erübrigt also nur, daß das vernünftige Erkenntnisprincip im Menschen die bildende Wesensform sei. Und so erhellt es aus der vernünftigen Thätigkeit selber, daß im Menschen der Körper das bestimmbare Moment ist; und daß was im Menschen an thatsächlicher Bestimmtheit, also an thatsächlichem Sein sich findet, in der vernünftigen Seele als in der inneren bestimmenden und formenden Wesensform seinen Grund hat. Dieselbe Wahrheit wird dargethan durch die Natur der menschlichen Gattung. Denn die Natur eines jeden Dinges wird offenbar aus seiner Thätigkeit. Nun ist die dem Menschen eigentümliche Thätigkeit, soweit er eben Mensch ist, das geistige Erkennen, da er dadurch alle übrigen sichtbaren Dinge und lebenden Wesen überragt. In dieser Thätigkeit setzt deshalb Aristoteles (10 Ethic. 7.) die letzte Glückseligkeit. Jenem also angemessen muß der Mensch seine Gattungsstufe einnehmen, was das Princip dieser Erkenntnisthätigleit ist. Da nun jegliches Ding durch die Wesensform in ihm seine Gattungsstufe einnimmt, so muß dieses vernünftige Erkenntnisprincip im Menschen dessen bildende Wesensform sein. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß, je höher eine solche Wesensform steht, sie desto mehr den Stoff beherrscht und desto weniger vom Stoffe gewissermaßen verzehrt wird; vielmehr in ihrer Thätigkeit den Stoff überragt. So sehen wir, daß der aus einfachen stofflichen Elementen durch Mischung entstandene Körper eine Thätigkeit hat, welche von keinem einzelnen der zusammensetzenden Elemente, sondern allein durch die Verbindung derselben, also durch die sie verbindende Form verursacht wird; wie das Wasser z. B. eine Thätigkeit hat, die weder vom Sauer- noch vom Wasserstoffe allein verursacht wird. Die Pflanzenseele aber schon ragt in ihrer Thätigkeit bei weitem mehr über jedes ihrer stofflichen Elemente hervor und die sinnliche Seele wieder mehr wie die der Pflanze. Die menschliche Seele aber ist die erhabenste aller Wesensformen im Stoffe. Sie ragt demnach so sehr über allen Stoff hervor, daß sie eine Thätigkeit und eine Kraft hat, welche durchaus ohne jedes stoffliche Organ besteht; und diese Kraft heißt Vernunftvermögen. Sollte aber jemand meinen, die Seele selber sei aus Stoff und Form zusammengesetzt, so könnte sie nimmer die bildende Wesensform eines Körpers sein, woher nämlich dieser Körper all sein Sein habe, soweit dieses thatsächlich und bestimmt ist. Denn da jede Form ihrer Natur nach bethätigt, der Stoff aber ebenso seiner Natur Vermögen ist, bethätigt zu werden und somit etwas zu sein, so könnte das, was selber eine Zusammensetzung aus Stoff und Form wäre, unmöglich nach seinem ganzen Sein und Wesen bethätigende Form eines anderen Seins genannt werden. Ist aber die Seele gemäß einem Teile, dem einen Etwas in ihr, Form und nach einem anderen Etwas Stoff, so nennen wir diesen ersten Teil „Seele“ und den zweiten das „Erstbeseelte“.
c) I. Aristoteles zeigt 2 Physic., wie die höchste der Wesensformen im Stoffe, die menschliche Seele, wohl in sich selbst betrachtet vom Stoffe frei und so von ihm getrennt sei; doch aber innerhalb des Stoffes sich als formend vorfindet. Dies beweist er dadurch, daß der Mensch mit Hilfe der Natur aus dem Stoffe wieder einen Menschen erzeuge. So ist die menschliche Seele getrennt vom Stoffe gemäß ihrer vernünftigen Erkenntniskraft, die, ohne ein körperliches Organ ihrem Wesen nach einzuschließen, erkennt; und nicht wie das Sehen ist, wozu man des Auges bedarf. Die menschliche Seele aber, welcher diese Erkenntniskraft gehört, ist im Stoffe, insoweit sie den Körper formt und der Zielpunkt und die Grenze der menschlichen Zeugung ist. Damit ist auch II. und III. beantwortet; denn die Vernunft im Menschen erkennt ohne körperliches Organ und somit erkennt sie ohne Grenzen alles Körperliche, sowie die stofflosen und allgemeinen Ideen. IV. Die menschliche Seele ist nicht so im Körper Wesensform, daß sie vom Stoffe beherrscht und umgriffen würde; dazu ist sie zu vollendet. Und deshalb kann sie ganz wohl eine Kraft haben, welche nicht aus dem Grunde thätig ist, weil sie an ein körperliches Organ gebunden wäre; wenn auch die menschliche Seele ihrer Natur nach bildende Wesensform des Körpers ist. V. Die Seele teilt jenes Sein, kraft dessen sie für sich besteht, dem Stoffe mit, aus welchem mit ihr als bildender Form eine Einheit wird. Dieses Sein also ist das Sein des Zusammengesetzten und zugleich das für sich bestehende Sein der Seele; was bei anderen Formen, welche kein Fürsichbestehen aus sich haben, nicht der Fall ist. Und deshalb bleibt die Seele auch nach der Auflösung des Leibes; wie etwa das Licht ganz wohl Licht bleibt, wenn auch das grüne Glas seinem Einflüsse entzogen wird, das unter selbem in grüner Farbe strahlte. VI. Wie es dem leichten Körper an und für sich seiner Natur nach zukommt, in der Höhe zu sein, so kommt es der Seele an und für sich ihrer Natur nach zu, mit dem Körper vereinigt zu werden. Und wie dem leichten Körper, der von seinem Orte getrennt wird, immer die Neigung und das Geeignetsein bleibt für den ihm eigenen Ort; so bleibt wohl die Seele in ihrem Sein, wenn sie vom Körper getrennt wird, aber es bleibt ihr damit auch die Neigung und das Geeignetsein für die Verbindung mit dem Körper.